rumänischer Gegenwartspoesie
Übersetzt von über dreißig rumäniendeutschen Lyrikern
(
Darunter Oskar Pastor, Werner Söllner, Franz Hodjak, Klaus Hensel, Rolf Bossert, Anemone Latzina, Gerhardt Csejka, William Totok)Dieter Schlesaks Sammlung ist ein poetisches Abenteuer ersten Ranges. Es löscht einen weißen Fleck auf der Landkarte der Poesie. Eine Sammlung, die sich auch wie die innere Geschichte eines Landes liest, ohne die man die geläufige kaum verstehen kann.
Hans-Jürgen Schmitt in der Süddeutschen Zeitung und im Deutschlandradio Köln
Präsentation auf der Leipziger Buchmesse
Zur Homepage von Dieter Schlesak
PROJEKT ZUR PRÄSENTATION DER ANTHOLOGIE
Leipziger Buchmesse, Café Cap
şa, 27. März 1998
Meine Damen und Herren,
eine von mir zusammengestellte Anthologie rumänischer Poesie "Gefährliche Serpentinen", Brancusis (rum.Brâncu
şis) Unendliche Säule, das zentrale rumänische Symbol, auf dem Umschlag, möchte ich Ihnen vorstellen; diese Sammlung mit über hundert rumänischen Lyrikern der Gegenwart, übersetzt von rumäniendeutschen Kollegen, liegt seit einigen Tagen beim Druckhaus Galrev vor.Es ist eine Art Hommage an die rumänische Dichtung.
Die Anthologie stellt vier Generationen vor: die Generation 60, die 1960 zu veröffentlichen begann, dann die Generationen 70, 80 und 90, die bisher jüngste. Die Kraftlinien der Einflüsse werden zurückverfolgt bis zu älteren Autoren der rumänischen Avantgarde, die übrigens auch Paul Celan beeinflußt hatten. Im Zentrum steht die "Generation 80", zu der Mircea Cartarescu und Marta Petreu gehören, die heute hier lesen werden.
Die Auflösung der Grenzen "alter" Geschichte nach Auflösung der System- und Stacheldraht- Zäune gibt den Blick auf ein totales Endspiel, und zugleich auf eine andere, die Grenze des "Ganz Anderen" frei. Und, so Heiner Müller.: "...wenn die Chancen vertan sind, beginnt, was Entwurf einer neuen Welt war, anders neu: als Dialog mit den Toten." Millionen Opfer der Diktaturen. Tod und Transzendenz in einem geschichtlich-posthumen Kontext, der einen Gegenwarts-Stil erst möglich macht.
Er zeichnete sich schon bei der Generation 60, bei Marin Sorescu (1936-1997)oder Nichita Stanescu (1933-1983) ab. Auch Ana Blandiana, die heute hier lesen wird, gehört dazu. Tauwetter 1960/61, dann 1965, als Ceausescu, aus Machtkalkül in der Literatur Stilvielfalt zuließ. Damals erarbeiteten diese "Waisenkinder des Klassenkampfes" unter Druck eine subtile, sprachgeschärfte, spannungsgeladene Poetik der Innenwelträume.
Innerlichkeit war ein Politikum sondergleichen. So bei Nichita Stánescu, dem wichtigsten Lyriker der Sechziger, sein Gedicht im metasprachlichen Raum und die Grenze zum Numinosen offen, wo auch die Toten (ähnlich wie bei Rilke oder Celan) ansprechbar werden. ("In mir, schau her, sind alle meine Toten /erwacht/ und alle Toten meiner Toten/ und alle Freunde und Verwandten/ der Toten meiner Toten." Nuancenreiche lyrische Sprache, Destillate unter starkem Druck, Sprach-Innenräume als letzte Zuflucht des Geistes. Allerdings auch eine Entlarvungs-Aktion; der verhüllende Schleier der Worte wurde von den gebrannten Kindern der Diktatur (überfüttert mit Ideologie-Parolen) als Trug gesichtet: "Blitzartig ist erhellt eine Welt/ schneller als die Zeit des Buchstaben A."... "stand ich angespannt da/ zu erinnern jene blitzartig erkannte Welt/ die mich mit diesem Körper bestraft/ der sich nur langsam sprechend in sich hält."
Stánescus Gedicht hat die Jüngeren beeinflußt, dies Auflösen (über das Wort) in ein eigenes, bewußtgewordenes Körpergefühl. Körpergefühl ist extrem wichtig bei den Jüngeren der Generation 80: Körperdasein als nüchterne hirnsyntaktische Allegorie.
Dagegen scheint Sprache ein machtgeschütztes Abziehbild zu sein. So Mircea Cártárescu: Beim Schreiben fahre sofort "in den den Füllhalter führenden Finger wie in einen Handschuh eine fremde Klaue..." Und: "Als Leser kommt nur noch der Tod in Frage". Die Generation 80, so einer ihrer Poeten, wird von der Wirklichkeit "hypnotisiert", "von der Unmenge natürlicher Poesie, die ihr entströmt". Diese Dichtung sei "überraschend irdisch", und die "Banalität empfange täglich Visiten der Poesie"; das "Weltall" sei städtisch geworden, und die Ekstase "aus den Innenräumen auf die Straße hinausgetreten". Die Trennung zwischen Ich und Welt wird illusorisch, es gäbe "neue Masken" und Gefäße für das nicht direkt Sagbare: Bei Mircea Cartarescu und der Generation ´80 ist die Poesie das wirkliche JETZT, wie in der Quantenphysik, der beobachteten Momentaufnahme eines Schnittes durch den Weltaugenblick. Z.B. Galaxien als Kapitale von jenseits der eingeengten Lebensgrenze - "nur sie noch bringen uns, Milliarden Jahre verspätet/ Nachrichten aus der Urstadt, der Kapitale./ Wir alle, ausnahmslos alle werden sie dereinst sehen: Die Hauptstadt/ werden abstreifen das speckige Nervenjackett, die Lavallière der Adern/ und gläsern, das Gehör hinter uns werfend wie einen azurnen Schleier,/ die Geschmackspapillen verbrennend,/ werden wir die neue Mode annehmen ..."
Der Alltag, das Rätsel des wirklich gelebten Augenblicks als Ganzes wird zum Gedicht. Kosmos und Alltag dominiert, weil die genaue Wahrnehmung dieses Wirklichen von der Diktatur gefürchtet wurde, ihr ganzes Parolenarsenal und die ideologischen Abgedroschenheiten dienten nur zur Täuschung und zur Verhüllung des Elends.
Neben der Generation sechzig war es der schon zur Legende gewordene letzte Surrealist Gellu Naum geb. 1915, der die Achtziger beeinflußte. Er spricht von der "Pornographie der Macht" wider das Mirakel des Lebens, gegen die Liebe, das Genie des Femininen. Alle Ismen, Ideologie und auch die Literarthure und die "Pohesie" verhindern das Mirakel des Daseins, das von einem andern "Plan" gelenkt wird, als dem Bekannten, gar einem System: "Mein freund der tote maler/ ruft mich (spielt keine rolle)/ aus seinem mund kommen gemalte buchstaben .../ unterm arm hält er das fürchterliche buch/ es ist in jener/ sprache geschrieben/ die wir in gedanken sprechen ..." Es gehört zum undurchschaubaren Beziehungsnetz kosmischer Größe, das sich wie ein momentaner Querschnitt in unserer Sphäre zeigt - in "aktiver Erwartung", im freien Spiel der Bedeutungen, wenn das ans Geheimnis angekoppelte Unbewußte, berührt wird. Naum sucht aber dies Geheimnis nicht verquast, sondern urban und surreal mit Mitteln eines sarkastischen und ironischen Bewußtseins.
Ähnlich hielt es der zu den Sechziger gehörende Marin Sorescu (1936-1997). Daher hat er auch die Jüngeren beeinflußt: "jedes Wort vermeidend,/ das ... Buchstaben enthielt." Erstaunlich viel Sinn im ironischen Spiel mit dem Banalen und dem Nichtverfügbaren, wider das verhaftete Leben, Zellenschrecken des Jahrhunderts. Als Heilung: Kraft des Zufalls, des Unvorhersehbaren, das Sorescu schlau dem Plansystem entgegenstellte: Der von ungefähr dort um die Ecke: Der von ungefähr sitzt am Kommandopult auf dem die Anzeige fehlt. .../ (es) kommt dann alles unvermeidlich/ haargenau und so als hätte/ der von ungefähr es so gewollt.
Das Unvorzubestimmen - Feind des geschlossenen Systems, das dies schließlich entropisch erledigt. Tu, was geschieht.
Nicht weit von dieser Sicht entfernt ist Ana Blandiana. Ihr erscheint die antitotalitäre Offenheit als ethische Kategorie der "Reinheit" und "Lauterkeit", die sie (nicht nur im Gedicht) immer wieder erörtert. Diese tätige Öffnung scheint sie zur Dissidentin, zur Bürgerrechtlerin vorbestimmt: sie hatte Publikationsverbot (ihre Verse transportierten Brisantes zwischen den Zeilen, wie dieses Samisdat-Gedicht: "Ich glaube wir sind ein Volk von Pflanzen/ Wer hat schon einen Baum gesehen/ der sich aufbäumt?") Leise, verhalten Töne, Metapher des Schlafes, des Vegetalen, Sicherheit im Ei, in der Nuß, im Haus aus gestörtem Harmoniebedürfnis.
Im Mai 1990 konnte sie noch vom Balkon der Bukarester Universität Tausenden von Studenten, die gegen Iliescu protestierten, zurufen, "Wir sind kein Volk von Pflanzen." Später mußte sie es wohl wieder zurücknehmen.
Ein Vorbild für die jüngere Generation ist auch die Real-Poesie Petre Stoicas, denn Stoica strebt eine Inventaraufnahme des Zufälligen an, um das "Prosaische" lyrikfähig zu machen, die Wunder des Alltags. Das hintergründige Mitdenken eines Gesetzes von Zufall und Offenheit, ähnlich wie Sorescu, wider das Festgelegte. Im Gedicht "Option" heißt es: " uns mahnend daß es an der Zeit sei/ noch ein Glas zu leeren auf das Recht das heilige/ für eine bestimmte Jahreszeit zu optieren." Jedem dieses Recht der freien Wahl!
1971 führte Ceausescu eine neue restriktive Kulturpolitik ein. Der "Opportunismus" der Generation ´70, die weniger klingende Namen hervorgebracht hat, ist die Konsequenz der neuen Kältewelle. Mircea Dinescu war die große Ausnahme. Er hat seiner Haltung - in saloppen und sarkastischen Versen versteckt - zu einer großen Wirkung verholfen. Er attackierte jene, die angeberisch das Absolute wie eine Fahne vor sich her trugen, entlarvte es als falsche Ewigkeit, und die rote Ideologie, als deren Bastard, fiel gleich mit in diese Falle. Daher das Erfrischende seiner Poesie. Er war eine Art Vorläufer der Achtziger, denn bei jedem Vers schien er sich zu fragen: ist Poesie unter diesen Umständen in denen wir leben müssen, überhaupt noch möglich? Und jedesmal gibt Dinescu eine bejahende Antwort - nämlich durch das Gedicht selbst. Das unerträglich Wirkliche der umgebenden Finsternis und Kälte ließ ihn nicht ruhen ("Guillotine, die wie eine Geige m
ir am Nacken sang"). Die drei F: frig, foame, frică(Kälte, Hunger, Angst) bedingten in den achtziger Jahren alles und jeden. "Beschütze mich, herr vor denen, die mein bestes wollen, vor den flotten burschen, die einen allemal fröhlich verpfeifen, vor dem priester mit dem tonbandgerät unter der soutane ..."Zur Generation Siebzig gehört auch Grete Tartler. Sie ist Botschafterin Rumäniens in Dänemark. und gehört zu den vielen starken Frauen wie Ana Blandiana, Elena Stefoi und Marta Petreu. Grete Tartler ist Orientalistin und Musikerin. In ihrem Gedicht wird die Welt wie ein Musikinstrument behandelt, zum Klingen gebracht: "Der Fahrstuhl// Du trittst ein in dieses Musikinstrument -/ die Luft.../ Die Bewegung/ des Fahrstuhls wie die eines Pendels. " Und auch der Hinwendung zum Offenen, "Tu, was geschieht" "Der oberste Schaltknopf fehlt", Heimkehr ist Nie: Ost-Schicksal: "Auch morgen könnte ein Sturm/ die Decke des Käfigs wegblasen -/ dann/ darfst du dich nicht mehr/ an die engen Wände klammern."
Diese Wände und MAUERN sind nach dem blutigen Dezember 89 explodiert. Poeten standen damals ganz vorn. Einige wurden verhaftet, gefoltert und mit dem Tode bedroht. Ein Kapitel der Anthologie ist diesem nationalen Komplex und der Erinnerung an die Toten gewidmet.
Auffallend ist die "Freimütigkeit" dieser Generation, die unbelastet von Zwängen und Ängsten offen und selbstverständlich auch der Securitate gegenübertreten konnten, ja Forderungen stellten. Eigentlich war der Geist dieser Generation schon "posttotalitär" - luzide, skeptisch, ironisch, der Glaube an große Entwürfe, Ideen, Utopien war zerbrochen. Ironie, Mündlichkeit, Humor, das Komische, das Absurde, der Alltag zieht sie an. Und das Zufällige, ja der gelebte Moment als Mirakel, eine Art Lupe, der "monströse Blick":
Doch nach 89 enttäuschten die meisten Achtziger. Die "Religion des Textes und der ästhetischen Wahrheit" waren wichtiger als Widerstand gegen die Iliescu- Realität. Und auch sie, wie die andern, hatten gelogen, esopische Literatur geschrieben, sich moralisch im Kommunismus infiziert, und einige waren wohl auch Spitzel gewesen. (Keiner weiß Genaues: Die Dossiers sind nicht wie in der ehemaligen DDR freigegeben worden.) Freilich: alle rumänischen Literaten sind Zeugen ihres posthumen Zustandes, mit ihrem bisherigen Werk, ihren bisherigen Plänen, es gab die bisherige Realität nicht mehr, Stoff auch der Texte. Alles war Geschichte geworden. Drastisch bringt Mircea Cartarescu den neuen Zustand auf den Punkt : "Ach, meine Welt ist versunken! Meine Welt gibt es nicht mehr, meine elende Welt, in der ich etwas bedeutet hatte. Ich, Mircea Cártárescu, bin in der neuen Welt niemand es gibt hier 1038 Mircea Cártárescus ..."
"Ich habe New York und Paris gesehen, San Francisco und Frankfurt/ ich war an Orten, von denen ich nicht zu träumen wagte./ Ich kehrte mit einem Stapel Fotos zurück/ und mit dem Tod in der Brust." Der Westen.
Doch es ist eine Öffnung ins Ganze ("Alles"), wenn das eingeredete fiktive Ich verschwindet und das Unvorhergesehene möglich wird in dieser Öffnung, entsteht eine Art "enzyklopädisches" Poem. So heißt ein Gedichtband von Cartarescu auch "Totul" (Alles).- Das lange Gedicht wird bevorzugt, weil "so viel wie möglich von den Wundern dieses Universums" aufgenommen werden soll.
Die gesamte Diskussion um die Generation 80 wurde - vielleicht um an den Westen anzuknüpfen - im Rahmen einer Postmoderne-Debatte geführt; sie begann schon ca. ab 1986. Ihr Hauptinhalt: Öffnung als Basisgedanke! Es war anfangs eine Art Widerstand gegen das totalitär geschlossene System. Nach 89 aber hatte niemand mehr Lust zu solchen Diskussionen, hautnah war die "Realität" allen auf den Leib - auch auf den der Gedichte gerückt. "Einer, der hundert Jahre lang tiefgefroren war,/ öffnet die Augen und entscheidet sich fürs Sterben". Das Gefühl, alles sei gescheitert, auch die Leistungen des vergangen Jahrzehnts, überwog; es blieb nichts als Depression.
Erst ab 1995/96 begann wieder eine neue Debatte. Jetzt gab es schon Texte der "neuen Zeit", die aber mit nichts vergleichbar waren, was im Westen geschrieben wurde und wird ("Grüß schön! Europa ist auf dem anderen Schiff." heißt es bei Mircea Dinescu); viele Texte nach 89 erscheinen wie ein Akt der Verzweiflung auch angesichts der neuen parasitären "Freiheit" und Bindungslosigkeit, die umschlägt in nichts als levantinisches Chaos und in Brutalität. Galgenhumor wird notwendig, weil nichts mehr geht, geht alles, weil nichts mehr zählt, zählt alles; zugleich ist es die Chance einer Öffnung, indem man sein Ich, seine bisherigen Sicherheiten aufgibt, das Ludische gegen die Logik ausgespielt; der Zweifel allein zählt, die Ironie, die Skepsis: "hier und jetzt, ja, hier in nächster Nähe/ so daß man's mit dem Finger berühren kann/ und auf die Wunde sich legen", schreibt. Marta Petreu in: Dies Jahrhundert: Doch was östlich nun umgesetzt wird, ist auch die Angst und zugleich die Befreiung vom eigenen Minderwertigkeitskomplex, der "Westangst" wie in Mircea Cártárescu langem Poem: Der Westen. Oder in Dinescus Versen: "Gegen Abend wenn die Barbaren aus dem Westen zurückkehren, rittlings auf Begriffen, als Abgesandte großer Salamifabriken..." Es ist Befreiung durch Ironie von der okzidentalen Kapital- Zivilisations- und Kulturmaschine, ja von der Institution des Wortes: die neue, andere Sicherheit liegt jenseits des Wortes; es ist eine Wiederaufnahme der antiliterarischen Haltung aus den achtziger Jahren nun in erlittener Reife: Ein ganzes Kapitel der Anthologie ist ihm gewidmet: "... denn nur was kein Gedicht ist, kann noch als Poesie bestehen..." Dazu Cartarescu: Wir haben große Literatur gemacht und begreifen jetzt, daß sie gerade deshalb nicht über die Schwelle kommt,/ weil sie groß ist, / zu groß, erstickend in ihrem Fett...."
Katastrophe der rumänischen Identität in posttotalitärer Zeit, Masken und Karneval des "Übergangs". Amphibienseelen und neue Mafioten. Ein levantinisches Chaos auch der Institutionen von der Kirche über die Presse bis zur Regierung und dem Parlament. Diese Rest-"Seele" ist alles andere als "schön". Sie ist nach all den Erfahrungen des Grauens vergiftet, gequält und verletzt, und als Motto dazu ließe sich das alte Liebes-Gebot völlig umkehren in: "Hasse deinen Nächsten wie dich selbst". Wut-Energien bis in die Liebesbeziehungen hinein: "Zwischen dir und mir ist eine Wand aus Eis", "Wo bist du Herr? Deine frigiden Evas/ irren durch den Herbstschlamm/ Quasseln auf der Schwelle zum Nichts." "Mein Fleisch, das mich verschlingt.// Abgrund und Schatten. Ja, Schneide. Beben." Schreibt Marta Petreu, die zur Generation achtzig gehört. Sie gehört ebenfalls zu den starken Frauen nach 1989. Gottesflüche: Oder Skepsis und Verzweiflung auch bei ihr: "Ich bin müde, müde bin ich letzte/ Kreatur der Schöpfung, letzte Utopie von Gott" ; "fürchte mich im Dunkeln vor dem morgigen Tag": Kein Wunder, "Draußen" erwartet die Patienten wie überall im Osten eine wilde und rohe Geld- und Ellenbogen-Gesellschaft, die man keine zivile nennen kann. Bei Dinescu heißt es längst: »Willkommen, Konsumgesellschaft,/ entjungfere auch du uns, nimm auch du uns/ von vorn, drechsle uns aus den Nierensteinen/ ein paar Glückswürfel. Ab heute reden wir/ den Arsch nicht mehr mit Genosse/ sondern mit Herr an". Oder: "Nimm und probier. Wir sind auf dem richtigen Weg: Auch in Deutschland gehen die Uhren bverkehrt."
Auch von den ganz Jungen kommen scharfe Töne, und von den Frauen, wie wir sahen.
Krisen kündigen meist einen radikalen Umbruch an. Neue, diesmal unsichtbare Grenzen, nicht nur einen gewendeten Eisernen Vorhang. Neue Grenzöffnungen scheinen bevorzustehen. Die Generation 90, die Jüngsten, sehen nur noch den Untergang der alten Welt, der wir noch angehören: so bei Stefan Doru Dăncuş: "die ganze menschengattung ist ein schwarzes loch/ es wartet - jeder im zwischenraum der eigenen chromosomen - füll ihn aus - Herr." - "mein Engel starb an AIDS, Herr/ schick mir einen andern..." - "Schlaf in Frieden, Herr, niemand ist unversehrt geblieben".-
Ihr Lachen ist trocken, sarkastisch. Und doch kommt jetzt eine Art poesia metafisica. Das letzte Kapitel dieser Anthologie, "Grenzgänge und Totengespräche" ist nicht zufällig das längste. Es wird eine schwierige, fast unüberwindliche Grenze in Bewußtsein und Sprache erkennbar! Schon von Stánescu und der Avantgarde geahnt. So Gellu Naum: der an dieser Grenze die Toten sprechen läßt: "wir haben gänge zu euch geschaufelt unsre münder/ mit erde verschlossen/ geliebte ihr habt keine ahnung/ wir kommen in verbänden wir die einzigen die euch nicht/ vergessen haben ... " Mircea Eliades Nachfolger, Ioan Petre Culianu, gleichaltrig mit den Achtzigern, mit einigen von ihnen befreundet, spricht von Intertextualität extramundanen Reisen, Welten der Transzendenz und der Poesie: Nahtoderlebnisse und Bewußtseinserweiterung, Drogen, Parapsychologie, Neue Physik und Paraphysik, und der großen Literatur von Huxley bis Borges. Zeit, die Sprachgrenze zu überschreiten. Die Generation achtzig hat das erkannt. Welt ist Projektion, "die Sichtbarkeit der Seele ist der Körper", Durchdringung und Transparenz im Gedicht, besonders schön in Kapitel "Lacrimae rerum" der Anthologie. Diese Erkenntnis der Projektion war bei Stanescu da, sie ist erkennbar bei Ana Blandiana: "Alles ist zugleich ich selbst./Gebt mir ein Blatt, das mir nicht gleicht,/Helft mir ein Tief finden,/ Das nicht mit meiner Stimme klagt./Mein Schritt zerteilt die Erde, ich sehe/ Tote mit meinem Antlitz sich umarmen/ Und andre Tote zeugen./ Warum so viele Bindungen an diese Welt".
Die Achtziger, oft Rationalisten und westlich-antireligiös, haben sich jetzt diesem Grenzgang angenähert. Bedingung, daß die metaphysische Poesie nicht ärarisch, gar orthodox-kitschig wird, Rückfall in peinliche Vernebelung durch kirchlich-liturgische Formeln, wie bei vielen Rumänien heute im quälenden Vakuum einer Übergangsgesellschaft, ist das klare Bewußtsein einer großen Mutation, Entdeckungen der Neuen Physik und Biologie. Diese Lyrik kommt aus einer Zukunft, die noch aussteht.
Die Geschichte der Außenwelt ist okzidental, sie hat das Sagen, die Macht. Doch die langsame Umwandlung des Außen, heute bis zum Äußersten getrieben, schlägt um (Cyberspace, Quantenphysik als Wahrnehmungs-Modell einer grandiosen Immaterialisierung der Welt). Simultane Ebenen umgeben uns.
Die Antwort der Poeten: Gattungen werden wie die Wahrnehmungsgrenzen zum Zusammenfließen gebracht und vermischt; die Autoren äußern sich auf mehreren Ebenen. Ein neuer Stil, der Physik, dann die Traumata und Verletzungen der brutalen geschichtlichen Erfahrung, östliche Weisheit und die Wahrnehmung der Zukunft voraussetzt. Ein hochkonzentrierter alexandrinischer Gedichttyp enzyklopädischer Poesie ist entstanden. Einige der Achtziger schreiben Romane. Bei Cártárescu eine Art science-fiction, vor allem der neue Roman-Zyklus "Orbitor": ein Anschluß an Zukünftiges, an das, was Literatur einmal sein wird, bereitet sich vor - "virtuelles" Schreiben: eine Art Brückenbau in andere, in Zukunfts- und Transzendenz-Räume im Sinne des US- Romansciers Thomas Pynchon oder William Gibsons "Neuromancer". Was sich als "postmodern" im Westen oft als reines formales Affentheater aufspielt, ist bei den Rumänen eine Art erlittener "Hyperrealismus", jedoch urban und gereinigt von autochthonem Mief. Erst diese Generationen 80 und 90 versuchen durchzusetzen, was an der Zeit ist: eine Revolution des Subjekts (1989 hatte die gleichen Grundvoraussetzungen): alle Mauern, auch die der Wahrnehmung und der Sprache zu öffnen, zu durchstoßen, allein der Einzelne ist dazu fähig, da das sogenannte Wirkliche nichts ist, als der Zwang zu einem tödlichen kollektiven Alptraum.
GEFÄHRLICHE SERPENTINEN
Rumänische Lyrik der Gegenwart
Ausgewählt, herausgegeben
und mit einem Nachwort
von Dieter Schlesak
Edition Druckhaus
Neunzehnhundertachtundneunzig
I
Alexandru Musina (Klaus F. Schneider)
XVIII1. Ode - "Sol"
Wir haben überlebt. Wie der Dachs,
der im Schlaf die grüne Knospe erblickt und seufzt.
Das Blut weiß die Regeln besser, und die Zelle
hat eine direkte Verbindung zu Gott.
So siegten wir: die Hand betäubt,
das Bein betäubt, der Mund betäubt.
Die Augen hörten auf zu schlagen. Das Gehirn vergaß.
So siegten wir; die Lymphe wurde zu Gelatine,
die Knochen wurden zu Gelatine, die Nerven wurden zu Gelatine.
Vergeblich schrieen sie, wie Besessene,
bleckten die schwarzen Zähne, klein und zahlreich,
die Zeichen, die gedruckten Storys. Die Furcht ist eine Mutter.
Die Furcht ist eine gute Mutter, voller Liebe.
In ihrem Bauch lernst du zu leben. In ihrem Bauch
gibt´s andere Regeln, andere Götter, geht eine andere Sonne auf.
Eine blau angelaufene, wärmliche Sonne, eine Tier-Sonne,
verständnisvoller als jede andere Sonne.
So siegten wir: wir schliefen.
Draußen verflossen die Zeitungen, Panzer, Gefühle,
Reiche wetzten sich ab, Reiche tauchten aus dem Meer empor.
Wir haben überlebt. Wir haben gesiegt. Hier bin ich.
Hier, neben dir.
Emilian Galaicu-Paun (Hellmut Seiler)
Die auflösung des kadavers (fragmente)
"gesetzt den fall ich nähte sie kopf an kopf, meine geliebten, hätte ich auf der weißen bahn ihres fleisches
aus dem gulag fliehen können"
flüsterte ich in einer winternacht in moskau - um mut zu fassen- ihr ins ohr, der nackten
transzendenz (gewiß, sie hatte auch einen weltlichen namen, doch gefiel es mir, im bett sie so
zu nennen), die natur
verlangte
nach transparenz und sex - wir hatten beides auch ohne unter der decke hervorzukriechen,
ihre antwort kam alsbald: "gesetzt den fall, ich knüpfte sie kopf an kopf, meine geliebten,
hätte das so entstandene elektrische feld ausgereicht, einen gulag zu umzäunen." wir übten
uns in nichts als literatur, wir
eli e-
liminierten, befreiten uns von lektüre. solschenizyn, schalamow, rasgon usw. ich streichelte
ihren kal(l)igrafischen leib als folgte ich, wie er sich gabelt in kopulative und gefüge, einem
satz:
"er sah aus als hätte er das ganze leben die gefallenen vom schlachtfeld abgeschleppt, indem
er sie auf seinen schatten schleifte, aus
welchem grund er ständig en retard war um eine grammatische zeit, unerreicht
von ihm in qualität verwandelt." ich las zwischen den zeilen der "moskovskie novosti": der
nackte könig stopfte die mäuler der wahrheitshungrigen mit erde, tbilisi, baku, jerewan. "ich
werde ein
kind
kriegen, aber mach dir keine sorgen", sagte sie mir eines tages. "wir werden", versuchte
ich sie festzulegen.
die klammern
sind in meinen texten gleichzeitig mit dem sichtbarwerden ihrer schwangerschaft erschienen.
der stil entstand durch die keineswegs zufällige begegnung auf einem operationstisch
zwischen einem schwarzen loch, das sich in zeitzonen öffnete wie ein herrenregenschirm und
einer näh-/ maschine.
die sonnenochsen, allerdings, waren schon geschrieben...
als du mir plötzlich dann auf meinem weg erschienest,
perestroika du!... (der rest ist literatur, die wand des kerkers von den "feinden des volkes" in
erwartung
ihrer hinrichtung vollgeschrieben - die fotografie ging um die welt - ist literatur: oben, die
ersten sätze stellten, jeder für sich, die "geschichte des lebens" her, gleich einer dns-
doppelhelix. stalin hatte keine geduld. es folgten einfache aussagen des typs "ein mensch-ein
satz" bis, einen meter tiefer, jemand
nur seinen namen
einritzte. dann eine lange litanei von namen, gefolgt, drei fingerbreit vom fußboden, nur noch
von initialen. und niemand hat, niemals und unter keinen umständen, dieses ungeschriebene
gesetz des kontextes übertreten. die lektion über den stil haben wir uns in all diesen jahren
angeeignet. darum auch unterschreibe ich mit graffiti auf die mauer em g-p
Ana Blandiana (Rolf-Frieder Marmont)
Alles
Laub, Wörter, Tränen
Streichholzschachteln, Katzen,
Straßenbahnen gelegentlich, Schlangen von nach Mehl
Anstehenden,
Marienkäfer, Leergut, Ansprachen,
gestreckte Fernsehbilder,
Kartoffelkäfer, Benzin,
Papierfähnchen, bekannte Porträts,
Pokal der Europameister,
mit Gasflaschen beladene Wagen, exportuntaugliche Äpfel,
Zeitungen, Weißbrot, Speiseöl mit Zusatz, Nelken,
Flughafenbegrüßungen, Sprudel, Baguette,
Bukarester Salami, Diätjoghurt,
Zigeunerinnen mit Kent-Zigaretten, Eier von Crevedia,
Gerüchte, die TV-Serie am Samstag abend,
Ersatzkaffee,
der Friedenskampf der Völker, Chöre,
Hektarerträge, Gerovital, Jahrestage,
bulgarisches Kompott, Versammlung der Werktätigen,
Landwein, Sportschuhe,
Witze, die Jungs auf der Calea Victoriei,
Seefisch, das Landesfestival "Preis dir, Rumänien",
alles.
Mircea Dinescu (Peter Motzan)
Nachsicht zur Winterszeit
Beschütze mich, herr vor denen, die mein bestes wollen,
vor den flotten burschen,
die einen allemal fröhlich verpfeifen,
vor dem priester mit dem tonbandgerät unter der soutane,
vor der decke, unter die man nur schlüpfen darf,
wenn man ,,guten abend" wünscht,
vor den diktatoren, die sich in den harfensaiten verhedderten vor den kerlen, die über ihr eignes volk erbost sind,
eben jetzt, wenn sich der winter nähert,
und wir haben weder hohe mauern
noch gänse auf dem Kapitol,
nichts als große vorräte an langmut und grauen
gehören uns.
Mircea Ivánescu (Joachim Wittstock)
Rufe über den Wolf
Wie alles vergolten wird... Immer wieder sagte ich,
wenn ich an einen Tisch trat, an dem mehrere saßen
und mich erwarteten oder
mich teilnahmslos hinnahmen - ich sagte:
"Welches Leid". Manche lachten. Ich selbst
wußte ja nicht recht, was ich sprach, bloß soviel:
In der Nacht, als ich mich an den Augenblick erinnerte,
da ich seine gespannten Züge gewahrte und
die in einer fremden Sprache vorgebrachten Worte hörte, mit den
gleichen Silben, die beharrlich an meine Schläfe hämmerten,
und das Gesicht anstarrte, wissend,
im Gedächtnis wird die gleiche Folge der Worte
und Mienen ausgelöst: in jener Nacht
ermaß ich, wie groß dieses Leiden ist.
Mircea Dinescu (Peter Motzan)
Endloser Sonntag
Treibt mir heut abend drei absurde masten ins fleisch, ich bin der überseedampfer unseres wohnviertels,
ich bin der nebelhund, den die leuchttürme blenden, die koryphäen werfen mir steine nach,
die säufer küssen mich.
Die gassenjungen ködern mich mit speck.
Langeweile dehnt sich hier an meeres stelle aus,
und der fröstelnde gott, der sich nicht ausweisen kann,
wird im morgengrauen vom anstandsgefühl gekillt.
Hier verkriechen sich die liebenden wie in einer konserve hier drücken sich die greise an die mauern,
hier klingt nur mein husten ehrlich,
hier haucht der zephir der gerüchte
lebenslust über den dreck:
das fußballspiel erschüttert die familien,
und das heulen des grammophons genießt freiheit,
und mit seinen grünen mückenbeinen
klopft der frühling leise an das fenster...
Schließlich zweifle ich an dir,
bis ich dich mit bitteren lippen berühre.
Elena Stefoi (Ernest Wichner)
Liebesbrief
Was du verstehen sollst? Eine Biographie
die wie eine Tonne Sprengstoff
auf meinen Wörtern lastet?
Ich weiß: ich atme nicht regelgerecht
meine Schultern sind leicht vornübergebeugt.
Von den Substantiven zum Verb
macht ein mörderischer Mechanismus Stilübungen
und wartet auf dich.
Damit du's weißt: ich habe gelogen,
habe gestohlen, habe schamlos
meine Freunde verraten; habe heimlich
Reste verschlungen von den Tischen jener,
die ich verachtete.
Ich sehne mich nach einem klaren Ozean:
beim Schwimmen die Zukunft aufrechter
Wirbelsäulen zu sehen, einen Schritt weit
von meinem liederlichen Einvernehmen.
So oft du willst,
kannst du vorbeikommen und
diese Fehler zählen: ein Oberkellner
unter den Gästen
der Sommersaison.
Ana Blandiana (Rolf-Frieder Marmont)
Die Zeugen
Mehr Schuld als die Betrachteten
trifft nur noch die Gaffer,
den Zeugen, der das Verbrechen nicht verhindert,
sondern scharf beobachtet, um es zu schildern,
sich entschuldigt. "Ich kann nicht
zweierlei Dinge gleichzeitig tun"
oder:
"Das engelgleiche Abbild des Opfers
zählt mehr als sein irdisches
Leben."
Schuldig kann nicht
nur einer, können nicht nur zwei oder drei sein,
wenn ganze Heere von Zeugen zusehen,
das Ende abwartend oder
daß der Henker an Altersschwäche stirbt
und das Opfer einen zweiten Tod erleidet durch Vergessen,
daß das Böse von selbst endet,
etwa so wie ein Tunnel schlicht und einfach endet...
Wir baumeln
an der eigenen Frage
wie ein Fahnentuch am Galgen.
"Vergebens", entgegnet die Zeit, "wartet ihr:
im Prozeß über die großen Alpträume
werden auch die Zeugen schuldig gesprochen."
Stefan Aug. Doinas (Anemone Latzina?)
Alibi*
Auf Feld und Gasse, selbst vor Hochaltaren,
im Bett - bei Tag, bei Nacht, im Morgenrot -
wird Mord verübt, wird Todeskampf erfahren,
schickt jemand einen andern in den Tod.
War ich dabei? Wo war ich an dem Tage?
Ich war's nicht, sag ich mir voll Ungeduld,
obwohl ich auf der Stirn ein Blutmal trage,
das Kainsmal ewiger, vererbter Schuld.
Ich sah des Mörders Messer und Gebärde,
das Blut; ich hörte einen Todesschrei.
Dann sah ich nichts mehr... stürzte wohl zur Erde...
Doch weiß ich eins: Der Schuldige ist frei.
Ich weiß nicht, wie er heißt. Ach, welcher Namen
paßt für uns alle: Mann und Greis und Kind,
paßt für Jungen, die das Spielen satt hatten
und Mörder ihrer eignen Kindheit sind?
Und für ein Liebespaar im Lenz des Lebens?
Wer hielt den Faustschlag ihres Mörders auf?
Oh, alles kommt zu spät und ist vergebens,
um beide Leichen kreist ein Rabenhauf.
Und kann ich die bedrohte Festung schützen?
Wodurch? Mir wird kein Ausweg offenbart.
Wir sind und bleiben jedes Mords Komplizen
wie Gott durch unsere Allgegenwart.
Komplizen... Aber wessen?
Wir Verlorene,
die Mitschuld tragen wir als Last und Los.
Sein Alibi hat nur der Ungeborene,
bloß er schläft ohne Schuld im Mutterschoß.
* Übersetzer nicht bekannt
II
Mircea Bârsil
ă (Johann Lippet/William Totok)Brief
nichts neues im dorf
alles wie du’s kennst
heute am letzten februartag schneit’s spärliche flocken
bei deiner schwester Gică ist alles beim alten
sie haben sich einen Dacia gekauft
Petrisor fährt sicher der ruhige mensch s
die knospen haben aufregende pläne mit den bäumen
auch dies jahr
mit dem geld für die ferkel kaufen wir heu für die kuh
ohne milch läßt es sich auf dem land nicht leben
wie geht’s dir mit dem studentenleben
uns mit dem unsrigen geht’s bis auf den heutigen tag gut
nur den gegenschwieger den alten hat der zug überfahren
er dachte ans vermögen wie an ein vom haus gerissenes dach
nun hat ihn der zug überfahren
doch bevor er aus dem leben ging
machte er sich beine aus ofenrohren
um an der spitze zu sein auch im jenseits
wo es dunkel ist
ansonsten gesund machen wir uns bereit für die arbeit
bis zu deinen ferien ist’s noch ein kleines stück
dann wird es uns leichter sein auch mit dir
abschließend küsse ich dich
vom geld was soll ich dir schreiben vorläufig habe ich keins
aber hundert lei schick’ ich dir trotzdem
lerne dich auch über das wenige freun
und dich benehmen wie man’s von dir verlangt
Mircea Dinescu (Peter Motzan)
Eine Fabrik ruft nach einer zweiten Fabrik
Hundert frauen springen monatlich
aus dem ledigenheim der seidenfabrik ab,
die webstühle bellen ins leere,
die produktionskurve schlängelt sich über die dielen, der direktor wird grau,
das telefon flucht,
grün vor lauter ärger kehren die dollars in den westen zurück, die buchstaben der losungen werden noch imposanter,
in den sitzungen geht's hitziger zu,
lastkraftwagen schaffen mädchen aus der umgebung herbei, am arbeitsplatz werden sie ausgebildet,
aber monatlich reißen hundert frauen aus,
verstört von dem seidenrot
wie stiere in einer corrida ohne toreros.
Kämen doch endlich die raupenschlepper,
um die erde einzuebnen,
kämen doch die betonarbeiter und schmiedemeister,
die fahrer, die's raushaben, durch die zähne zu pfeifen,
die weißhaarigen flegel, die asse der baustellen.
Fließbänder sollen lärmen,
Martinöfen summen,
kohle und teer zum himmel stinken,
damit sich die mädchen beruhigen,
hand in hand
seide und gußeisen,
fabrik an fabrik.
Magda Cârneci (Helmuth Frauendorfer)
Der Wirklichkeit ins Gesicht schauen
Schauen wir der Wirklichkeit ins Gesicht
in ihr dickes Gesicht einer Hausfrau, ohne Ansprüche
schlecht gekleidet, Mutter von zehn Kindern (Abgetrieben
hat sie niemals), hat Essen zubereitet für eine ganze Kantine,
eine Armee von unterirdischen, irdischen und Luftlinien-
Bausoldaten, Kuttelsuppe, heiße, fette Suppe
in Blechkesseln
Küssen wir mutig und stolz
ihr geschminktes und rasiertes Gesicht (es hat Schnurrbart, das Weib),
das zerfressen ist von Pickeln und Geschwüren, aber freigiebig,
ein Blumenkohl, Melasse, Feuerpilz, Eingeweide, Explosionen,
"Landschaft nach der Schlacht", Bett nach der Liebe,
eine berühmte
Geschichte, zügellos und sündhaft
wie eine Schädelpyramide,
ein grausames Mahl ohne Grenzen, die Frau mit den
tausend Brüsten
heute gut, morgen gut, zehntausend Wochen lang gut
Wie wir in ihrer krausen Mähne hocken, Ameisen, Mikroben,
Zecken (Löcher, Schlitze, Türen)
dann wenn sie gähnend
ihren breiten Mund schließt, der geschminkt ist mit
einer Tonne
Lippenstift Purpur Blut
Sie ist dabei, uns zu verschlingen, zu kauen, sie schließt uns
in die Arme
als wär´s ein Liebeskuß, Ekstase, Verschmelzung
mit dem All, Epiphanie:
schwarze und grüne Fliegen sangen glückselig Hymnen auf
dem klebrigen und giftigen Papier.
Nichita Danilov (Dieter Schlesak)
Landschaft
In den Glocken des Getreide
Feldes ein nackt verliebtes Paar
Verschwimmend in der Dämmerung
Die Sonne wie ein Glücksspiel
Breitet die langen Schatten aus
Auf dieses Feld genannt
Verzweiflung.
Matei Visniec (Klaus F. Schneider)
man hat einen toten gefunden
im kornfeld hatte man einen toten gefunden
einen großen toten mit schmalen händen
übrigens auch einige feuchte zigaretten
waren ihm aus der hosentasche gefallen
die beiden traktoristen hatten sich müde
neben den stattlichen leichnam gesetzt
ihn schweigend eine weile betrachtet
und bloß irgendwelche körner zwischen den zähnen zermalmt
später dann hatten sie sich auf den rücken gelegt
und den himmel betrachtet aufmerksamer denn je
schließlich und endlich sagte der eine
was haben wir denn schon in diesem leben erreicht
Geo Dumitrescu (Peter Motzan)
Romantik
Wir sind kluge Leute - das kann niemand bestreiten!
Der Vers, Freundchen, ist giftig, das Brot teuer und schlecht;
früher fühlten wir uns herrlich bei 'nem Schwatz und spuckten,
und daß die Zeit verfloß, war uns nur recht.
Zu kalt ist's heut im Büro, die Menschen sind gelblich und trocken,
voller Mitleid sind alle, und kleinlich ihre Gedanken;
die Nächte sind glasig wie die Augen der Toten,
und um sich zu besaufen, muß man nicht Wein, sondern Spiritus tanken.
Früher hatten wir Zeit, Geld, Hunger nach Sehnsucht,
alles war prima. Man war halt so dumm wie ein Kind.
Wir wußten nur, daß in Japan die Glühbirnen sehr billig
und daß unsere Tage fürchterlich kurz und gezählt sind.
Wir sind kluge Leute - das ist nicht zu bestreiten!
Von einem Krieg - schön, groß, episch breit und unerhört -
könnten wir auch ein Liedchen singen,
und wie wir nach Hause zurückgekehrt!
Freundchen, ich sag dir, der Vers ist giftig und teuer das Brot,
trotzdem frag ich dich in fünf Jahren, bescheiden und sacht:
(wenn wir wieder dumm sind und Zeit haben werden)
"...vor oder nach der großen Schlacht?"
Der Frühling kommt morgen mit vielen, unnötigen Blumen,
der Mond jedoch ist giftgefleckt und die Mädchen tippen.
Die Nächte sind so glasig wie die Augen der Toten,
und um sich zu besaufen, muß man schon Spiritus kippen.
Dinu Flamând (Peter Motzan)
Stadt
Die abschüssige Straße führt zu den Kliniken,
hältst du den Atem an, hörst du
das Heulen der Hunde,
sie dienen dem medizinischen Fortschritt, man hält sie
im Kellergeschoß, hinter Gittern berührt
sie der Frühling, am Abend, wenn Knospen zerspringen.
Du öffnest ein Fenster den wächsernen Sternen,
und herein fließt der Duft von der Seifenfabrik.
Bist du besser oder schlechter geworden? So bald
wirst du's nicht wissen.
Doch sicher ist: das Volk wäscht sich!
Zu einfach wär's, es siegte nun plötzlich
der Durst deines Körpers. Auf der Straße gehen
Mädchen vorbei, und eine drückt auf den Schwengel des Brunnens
und unter dem Wassersäbel krümmt sich ihr Hals.
Mariana Marin (Gehardt Csejka/
Helmut Frauendorfer)
Dark Ages
Ein Kind mit dem Blick eines Hundes
fragte mich einmal,
ob es schwer sei Schriftsteller zu werden.
Es war Winter und regnete doch
auf dem kurzen Weg zwischen Schule und Wohnung.
Vom Wasser gepeitscht
machte der Müll mit Lust große Wäsche.
Selbst der Müll wollte gern reingewaschen sein.
Ich konnte seine Freude spüren, als ein Tümpel
mir durch den Schuh hindurch die Sohle leckte.
Der Milchwagen war noch nicht da gewesen.
Es war viel zu kalt.
Die Vorstadthunde bellten drauflos,
immer dichter das Dunkel, Handschuhe hatte ich keine.
Der Mutterseelenallein brütete dumpf in der Wohnung, Stromausfall und Gasausfall - auch sie
bei einer Klatschpartie irgendwo im lauschigen Winkel.
Kalt, sehr kalt.
Eisige Kälte, zum Kotzen kalt.
Ein Waisenkind fragte mich eines Tages
auf dem kurzen Weg zwischen Schule und Wohnung,
ob es schwer sei, Schriftsteller zu werden.
Der Blick eines geprügelten Hundes
antwortete einem anderen Hundeblick,
er möge sich besser umsehen,
bis er richtig gut bellen kann
und den Hals in der Kette aufrichten,
wenn die Sterne fern sind,
die Freiheit.
Denisa Cománescu (Grete Tartler/ Helmut Britz)
Sylvia
Von dir
lernten alle Dichterinnen der Welt
in ihrer Biographie auch einen mißglückten Selbstmordversuch
anzuführen
als ob du eine der Gaskammern gewesen wärest
mit der goldenen Beißzange deiner Hilflosigkeit hast du uns randvoll gefüttert
zwei Kinder, zwei Rosen
den letzten Schutzwall unserer Scham durchstoßen
- wie ein Kind Vergeltung geübt -
dessen Dauerhaftigkeit die eines Schneemanns war: genau bemessen
und unmittelbar
und was würdest du mit einer zahllosen Kompanie von Schneemännern
anfangen,
die wie armselige Vogelscheuchen ewig
auf einem aufgelassenen Feld rumstehn?
ich bin von einem Schrei bewohnt, heißt es im Lied
als ob Angst aus dir sprudelte
und als Flügelschlag vor sich selbst Flöhe
im Mundwinkel die Spuren eines Kusses
ich bin die Zunge des Pferdes
das um den Pferch trabt und vor dem verschlossenen Tor
zu sabbern beginnt
ich bin eine blasse Kopie
als dickliches Kind getarnt, das sich endgültig abnabelt
dein Gedächtnis
dies perfekte Alibi
Lückenhaftes Gewebe
Es gibt eine Grenze der Verkümmerung
Ich sehe einen erblühten Kirschbaum
und sage mir:
es ist doch gut so
er nimmt nicht teil
an dieser seltsamen Form der Leblosigkeit
Iustin Panta (Dieter Schlesak) t
Erstes Bild Kommentar im Spiegel
Um einige Sorgengedanken zu vergessen -
denn du hast das Gefühl, als lägen in dir etliche Leichen,
stehst du aus dem Bett auf, machst ein paar Schritte im Zimmer
entgeistert im fahlen Licht, es dämmert.
Du betrachtest konzentriert den Fußboden.
Und plötzlich bist du begierig, dir ins Gesicht zu sehen,
zu fühlen, daß es dich gibt.
Und du schaust in den Spiegel.
Doch der Spiegel ist nicht mehr an seinem gewohnten Platz -
jemand hat ihn gegenüber angebracht,
und du starrst auf den Wandfleck, wo der Spiegel war,
ein Wandrechteck, weniger entfärbt als die übrige Tapete,
und siehst und glaubst tatsächlich, dies sei dein Gesicht -
ohne Mund,
ohne Augen,
Leere
Gesichtsfläche/ kein
Ausdruck.
Florn Iaru (Anemone Latzina)
Unsauberer Sonntag
Sprechen werde ich über´s Vergessen. Doch ein anderer hat vergessen.
Sprechen werde ich übers Sterben. Doch nur die Seele ist gestorben.
Sprechen werde ich übers Enden. Doch nur die Anfänge enden.
- Oh, Gott! jammert mein Bett - was für ein vorsintflutliches Tier
ist auf mich gefallen!
- Oh, Gott! schreit der Spiegel - weck mich nicht mehr aus dem Schlaf
mit deinem Gequassel!
- Oh, Gott! rufe auch ich - Unterwäsche
Einsamkeit sentimentaler Plunder!
Dennoch werde ich übers Sprechen sprechen. Doch ein anderer rennt vor
mir her und wedelt wie eine Giraffe:
- Ich! Ich hab´s zuerst gesagt!
- Ich! Ich hab sie zuerst geliebt!
- Wir - jubeln die sonntäglichen Gegenstände mir zu - wir haben sie
vor dir vergessen!
- Folglich - trage deine
warmen Handtücher
deine morgendliche Geburt!
Der Müllmann zündet seine Zigarette an.
Und sagt ruhig zu mir:
- Schmutzig. Sehr schmutzig.
Aber warm.
Petre Stoica (Oskar Pastior)
hoffnung meine schwarze tulpe
fast vier jahrzehnte lang schneit es schon ununterbrochen
weiße flocken auf zeichen und wappen und schwarze buchstaben
auf meinen seit eh und je schwarzen kontoauszug
der schnee hält nicht ein weiße schwärme weiße wirbel
hinterm spiegel schwarzer sanfter spinnen
mein mund ist voll kälte voll schnee mein leben
blakt unterm flockengezüngel es schneit auf meinen
schon fast vier jahrzehnte alten tod und es wächst
hoffnung meine schwarze tulpe wächst aus weißer
zeit
Petre Stoica
Option
Ich möchte ein für allemal klarstellen
daß es mir nicht um eine
bestimmte Jahreszeit geht
und ich sie gleichermaßen mag
die blauen Schnurrbartspitzen des Flurhüters
genauso wie die Petersilienbeete die bis
tief in den Herbst hinein wie Samt und Seide sind
ja und besonders vernarrt bin ich natürlich
in die Winterabende wenn der Kürbis im Rohr schmort
und der Ziegenbock mit seinen Hörnern an die
Futterkrippe klopft
erst einmal dann dreimal dann zehnmal
uns mahnend daß es an der Zeit sei
noch ein Glas zu leeren auf das Recht das heilige
für eine bestimmte Jahreszeit zu optieren
Oskar Pastior
III
Marta Petreu (Ernest Wichner)
Tag der Wut
Zwischen mir und dir ist eine Wand aus Eis
die in die Hand sich schmiegt zum Streicheln.
Wütend stehe ich davor und Fieber schüttelt mich
und wie durch Tränennebel lauere ich auf dein Gesicht
verschnüre mir die Hände auf dem Rücken, tu einen
Schritt zurück und halte meinen Atem warm.
In vorgestellter Erinnerung
Wo bist du Herr? Deine frigiden Evas
irren durch den Herbstschlamm
quasseln auf der Schwelle zum Nichts.
Und ich hab Zeugen für deine Interesselosigkeit
in allen erdenschweren Dingen.
In vorgestellter Erinnerung bloß
weht ein sinnenfroher Wind, der treibt
gewaltige Flocken herbei:
welch passendes Lager, welch Eden warf
ich mir auf im Schnee.
Iolanda Malamen (Rolf-Frieder Marmont)
Die Zukunft der Wut
Ich trat auf die gefirnißten Läufer, im Tunnel der Sinne
schieb die kleine Truhe beiseite, mit etwas gutem Willen
wird sie zum Stehen kommen
unterhalb der zarten Wut!
Heraus werden die Spitzen fallen, die
erbitterte Generationen um den Verstand brachten.
Danach streckte sich die Spitzenklöpplerin aus unterm
Fensterbrett
von der Farbe
eines Grabes,
ließ ihren kranken Fuß in die Zukunft einbrechen,
winkte mit den Glühlämpchen aus Schreien.
Wir schubsten unser Dahingleiten, die Dachsparren
wirbelten über uns,
noch ein Schritt, und die Gesichtszüge der Liebe rückten
Richtung Trümmer vor,
fielen ab wie Blätter.
Die Spitzenklöpplerin rollte ihren Schlachtplan breit aus,
fütterte uns damit,
schlürfte ihre durchscheinenden Finger.
Ich hätte mir ein bescheidenes Erblühen gewünscht, das
Knirschen des Schotters nahebei,
das Tal strotzend von Wild.
Ich schubste sie (sie hatten Riegel aus Spitzen gefertigt) -
der Vater sammelte, sammelte, sammelte das Klirren der
Messer,
er wollte ganz einfach einen Wald mit reißenden Tieren,
wollte seine Krankheit betten auf eine Sternentrage,
wollte ganz einfach mein Aufbrüllen niedermähen.
Angela Marinescu (Hellmut Seiler)
Die Sonnenblume
Am tag an dem ich dich berührte (ich glaube es war frühling,
wie auch jetzt, da ich schreibe) hätte ich aufgeschrieen
hätte den verstand verloren
wäre das messer in meinem mund nicht gewesen.
am tag an dem du mich berührtest, träumte ich; daß ich keine KRAFT habe.
mit kalten schritten rötet die verzweiflung meinen weg.
im schatten des baumes, gegen abend, kreist das licht eines einzigen wortes,
langsam, wie eine sonnenblume.
die jetzt weggehen sind die ersten: in der kirche
die die ärmsten dichter gebaut haben.
Mariana Marin (Gehardt Csejka/Helmut Frauendorfer)
Liebesgedicht
Wenn es wahr ist, daß wir zwei eine große Liebe durchleben, warum klappern die Silhouetten des Todes dann auf dem Schornstein gerade unseres Märchenhauses? Die Jahre klemmen, es stimmt nicht, daß sie uns zwischen den Fingern zerrinnen wie zu anderen Zeiten Traumgesichte, wenn wir zwischen den Schiffen auf der Seine östliche Pergamente und Zeichen phantasierten. Doch wenn es wahr ist, daß auch ich ohne Alpträume aufwachen kann, warum drückt mich des Morgens dann dieser Osten?
Es ist hier das Ende einer Welt und was uns trennt, tut so, als wäre es ohne Ende, es verschlingt grobschlächtig oder erschießt unser beider Leben, die unmittelbar demselben Stacheldraht entwuchsen.
Nora Iuga (Lioba Happel)
Die Reise nach Plowdiw wurde verschoben
Auch die Dichtung denk ich
wird von mir gehen
wie ein Kind das heranwuchs
mich nicht mehr braucht
Briefe werden wir uns schicken
Entschuldigungen Alimentengelder
die Quittungen für all den Aufruhr
hineingepreßt in pralle Akten
in denen man beim besten Willen nichts mehr findet
Und wie rannte einst das Fieberpferd von Prinz D’Alexis
hin auf gefährlich angelegten Serpentinen
Kurven eines genialen Hirns
– Siehst du nicht mir geht es gut nur find ich mich
ich finde mich nicht wieder –
Ich besitze noch ein Dutzend loser Knöpfe
mit denen sich im Nachhinein ein Lebensweg belegen ließe
meinen Mantel seit ich neun bin
den ersten Büstenhalter
Uniform, ein Reisekleid
– die Reise nach Plowdiw wurde verschoben –
Und Krümel auf dem tuchbedeckten Tisch
– gestern wurde Champagner getrunken –
Zu viele Gewissensbisse
zu viele Zähne die die Hand da beißen
wie sie sich schüchtern streckt
nach dem häßlichsten Apfel greift
Warum fürchte ich mich wenn der Gedanke schneller als das Wort herausdrängt?
Was laß ich vor dem armen Wesen herabfall’n die eisernen Gitter
wo es sich abmüht ein großes Geheimnis an den Tag zu bringen?
Ironie, zärtliche Hut
die du mich immer auf die Dienstbotentreppe geführt hast
ist es nicht gut daß wir leben
Und die sanfte Sonne auf dem Gichtkreuz des Rentners
Und die Ansichtskarte, wie schön, von den Antillen –
das Erdbeben es fand
auf einem anderen Kontinent statt
Mircea Dinescu (Peter Motzan)
Die Lawine
Am 11. november um 9 uhr morgens
hatte ich ein rendezvous
mit einer jungen lawine
auf einem der anmutigsten hänge
des Himalaja.
Eine liebe auf den ersten blick hätte uns ergriffen,
doch bis man mir den paß ausstellte,
bis ich meine verwandten angab,
bis ich mir die koffer packte,
bis mich die zollbeamten filzten.
bis mich der detektor beschnüffelte,
wurde es viertel nach neun,
und die lawine, pikiert und hysterisch,
war mit einem griechen und zwei japanern talwärts gerollt.
Stimme sie milder, herr, diese behörden der trauer,
diese behörden, ach, sie bekämpfen die liebe,
die liebe und den tod.
Mircea Dinescu
Liebesbriefe, geschrieben unter einer zerbrochenen Lampe
Siehst du's, der zug der raben ist ein brief,
von einem stummen in das all geworfen,
und hör' nur, wie die bilderfresser
die morgenbrühe samt den lerchen schlürfen,
ein zeichen ist's: der faule frühling kommt
(und frierst du, zieh' dir die stadt über den leib
oder hüll' dich in eine decke aus brünstigen ratten). Am flußufer schlafe ich,
und die uhr singt in der baumhöhle,
und tausend ersoffene buhlen um meines strohhalms gunst,
den ich den wasserwirbeln anvertraute.
Flinkes unglück,
demütige flucht,
soldaten, angeheuert schon im säuglingsalter.
Unsere braut ist die brotrinde, es wuchsen ihr
beine, sie ist mit dem schönsten burschen getürmt,
doch hilft dir kein ekel, spuck´ nicht in die sonne,
ihr lampenschirm wird ganz sicher zerbersten.
Peter Motzan
Elena Stefoi (Rolf Bossert)
Zwei Schritt vom Horizont
ich kann ihr
nicht helfen. Sie taucht in kurzen Abständen auf und ähnelt
den Säufern
aus manchen Büchern. (Mir graust vor ihren zerrissenen
Lippen:
die bedrohen mich mit absoluter Liebe; auch haben sie mir
gezeigt,
daß Käfer in eine Sinfonie einbrechen können.) Komm
wir organisieren
den Sumpf da, flüstert sie mir zu, komm wir erhängen uns
beide
am Haken der Intransigenz. Sie küßt meine Nächte, bis nichts
mehr bleibt
als Verwirrung, aus der man Stacheldraht herstellen kann.
Sie schläft ein, schnarcht in meiner Grammatik, dann habe ich
keinen Vater und keine Mutter mehr. Und wenn sie jäh
stolpert,
zwei Schritt vom Horizont, wird sie bleich und sie zittert und
brüllt,
sie habe es gründlich satt, dieses (allerdings epileptische) Hel-
dentum,
das mich am Leben hält. Soviel.
Florin Iaru (Anemone Latzina)
Guten Morgen
Dieser Morgen hat gestern abend begonnen
mit Kopfweh
mit einer Landung in Angola
Schlaf
eine Frau
Gras aus Glas
unmoralisches Picknick (mit Ideen)
mehrere Frauen führen ihren Schatten an der Sonne spazieren
ein paar Keime Melancholie
Stunden, die
Sonne, die
Ereignisse, die
mein Kopf, eingeklemmt
im Holz des Bettes
deine Seele, Geliebte, eingeklemmt im Holz des Bettes
das blaue Schisma eines Messers
seit unserer Jugend in der Mitte des Bettes
ach, die Ereignisse
ach, die Ereignisse
wir haben uns (natürlich) umarmt
das Tagebuch schmatzt mit seinen Blättern
die kahle Pendeluhr macht Liebe
mit dem häuslichen Interieur
oh, Kopfweh, das
oh, Landung in Angola, die
oh, schlaf
oh, schlaf
in den Parks lassen die Alten
des Letzten Weltkriegs durch ihre Schatten
die Sonne runzlig scheinen
aha, die Sonne
und der Morgen
aha
- Guten Morgen
Carmen Firan (Dieter Schlesak)
Es gab diese Zeit
glücklich waren nur wir
die Welt bewegte sich wie betäubt
die Kontinente brachen auseinander
und die Geschichte hatte keine Helden mehr
verbraucht das Leben in Verschwörung und Erlässen
es war die Zeit ohne Zeit
sogar unser Hund winselte sich langsam zu Tode
und von einem Ende zum andern war Nichts als nur Sand
keine Stimme mehr keine Brücke
eine Wüste aus Glas und frucht-lose Bäume
Schaufenster grinsend durch die Gitter auf leere Straßen
der einzig lebendige Zustand war - der Überdruß
doch glücklich waren nur wir
So bewachend dich/ deinen verzweifelt sanften Schlaf
schlief ich an deiner linken Schulter ein
als wär ich herausgewachsen aus dir
die Schwimmerin in einem Tropfen Tau
dein Arm schrumpfte rechts von meinem Kopf ein
als du erwachtest zitternd mich zu streicheln
das war nicht ich
der Tod
ich hatte gelernt zu weinen
IV
Mariana Codrut (Dieter Schlesak)
lied zum erschrecken des schattens(den spitzeln)
wehe dir, schattennamenlos und ohne vater und mutter
verfolgst du mich seit jahren
versteint den augenblick
niemand wird
deine geschichte kennen
nur meine
weh dir, schatten
vereist sind deine roten blutkörperchen
so trinkst du rotwein meine worte
erregen dich im hirn ihr echo blinkt
deine geschichte nie
eine protuberanz
doch meine:
ja!
weh dir, schatten
sogar dein herz imitierts
meines, mein herz schlägt
dich/ dein lang entleertes leben
geh in dich
du bist ein Nichts
ich lebe
du aber: nicht!
Florin Mugur (Dieter Schlesak)
Hamlet
Des Mittelalters Anfang.
Gefährliche Gegend, das Weiße
im Mond.
Legt Eisen an,
dann fliegt ihr nicht.
Wir treten ein
Wir treten ein
in das verborgene mittlere Reich
des Verdachtes.
*
Siehe, es kehren ermüdet die Henker
heim,
ihre Frauen zu lieben!
Und die Hofnarren, die schnellen,
ziehen vorbei
im Läuten der Schellen.
Und die besoffenen Könige
äffen sie nach.
Marin Sorescu (Dieter Roth)
Studie
Ich kam mir schon lange verdächtig vor,
und gestern heftete ich mich an meine Fersen
und beschattete mich unauffällig den ganzen Tag.
Nun gut, ich bin weit gefährlicher,
als ich dachte
Wenn ich auf die Straße trete, blicke ich
nach rechts und links,
als fotografierte ich fortwährend
Gebäude, Menschen, Telegrafenstangen
und alle Reichtümer.
Ohne ersichtlichen Grund
(lies: um nicht erkannt zu werden)
verändere ich ständig meinen Seelenausdruck.
mein Gesicht ist das reinste Morsealphabet,
alle Augenblicke funkt es Gott weiß was für
Geheimnisse an die Mondmenschen,
die dort oben lange Ohren machen.
Wenn ich am Tisch sitze,
reiße ich ein Blatt Papier
in lauter kleine Schnitzel, die ich zusammenknülle
und sofort der Vergessenheit anheimfallen lasse,
was seltsam genug ist.
Abends seile ich mich sogar in meinen Schlaf hinunter
(an einer Leine, die ich eigens zu diesem Zweck
bei mir trage),
um zu sehn, was das Subjekt dort
zu offenbaren hat, was es
spontan erinnert und -
das Wichtigste -
wer ihm diese Sachverhalte
zwischen den Dingen
zuträgt.
Dann fülle ich
die Karteikarte aus.
Andrei Zanca (Helmut Britz)
Nur anstatt
mittäglich. sirenengeheul.anreihung den gehsteig entlang, die haltestelle
zigarettenstummel, windfahnen.
später schlängelt sich die stimme dieses kastrierten
griechen durch die lüfte, schwächeanfall
der luft über den dächern. ach,
die leute entspannen sich, die handrücken
fahren über die schweißperlen, warm ist es auch.
Jetzt ist dir alles gut genug. alles, der kranke sehnt
sich nach dem leben, das er als gesunder verfluchte.
nur soviel? Jetzt hast du gelächelt. Jetzt waren wir
jung gewesen.
wieder das geheul. absterbend. nachts, wird die
geburtenziffer steigen.
das entsetzen wird die leute einander näherbringen
die kinder zur welt.
die häuser rücken zusammen. die gefahr wirft sich zur
wand auf.
was ist mit den gelben gesichtern - sonnengelben, verzerrten
gesichtern - sonnen zugewandte gesichter.
ist es die sonne vor der sonne, die ihr meint? der
fleischerladen mit
dem roten aushängeschild CARNE, der platz mit
zigarettenstummeln übersät, wirklich,
CARNE?
das geheul. es ist gut so. Jetzt.
mittäglich. juligleich. die fragen brechen aus.
das leben als ein leben.
Pause
der tag schmilzt, mählich, zerläuft
bunkerwärts, später die nacht
erfriert unter der stirn, die brennende zigarette.
die Straßenkehrerinnen, du erschauerst, einbrechende
dunkelheit.
du erschauerst, setzt
über schützengräben hinweg, versengte grasnarben
panzerwagen und stiefel,
du erschauerst, erwachst, erschauerst, das
morgengrauen, erschauerst.
es regnet,
nieselregen.
ist etwas geschehen? NUR ANSTATT... sagt der
pförtner
die mutter meiner mutter, das haar sanft angegraut,
ich esse.
ihre augen folgen jedem bissen, nimmst du noch?
nein, ich räume ab, sie streckt sich, schläft ein.
ist es damit genug? REICHT ES?
es geht alles vorbei. nur anstatt
erschossen zu werden
mit einem gedicht über das vaterland, allein im feld.
deine jungen jahre
werden zeit haben
zu altern.
Marius Robescu (Gerhardt Csejka)
Frei atmen
Wenn für dich alles zu spät kommt
was du hundertfach verloren glaubtest
schiebst du mit den Händen die Gäste beiseite
wirfst die Geschenke zum Fenster hinaus
sie halten dich natürlich für’n Querkopf
der geradezu in einem Kubus wohnt
(ganz verkehrt wäre das nicht: rechte Winkel und Musik
besänftigen die Nerven, die von früh bis spät wie Telegraphendrähte summen)
stets findet sich eine Stimme bereit auszurufen
Mein Gott wie ungezogen der ist! (nicht die der Mutter
sie hat in ihrer Liebe für dich längst resigniert
und ist, nach einem ganzen Leben, mit dem Ergebnis doch nicht zufrieden)
es ist eine unpersönliche Stimme, eine Radiostimme beinah
die dich tadelt; ohne Hast
drehe du an einem imaginären Sucher
und atme weiterhin frei, stülp dir kein Kissen über den Kopf
doch versuche auch nicht zu lächeln
sondern denke lieber in Schmerzen darüber nach
warum du dich mit den Verlusten nicht abfinden kannst
(alles Wiederfinden ist illusorisch)
wie als Kind: obgleich hungrig
bleibe unter der Treppe versteckt
und weine
antworte nicht, wenn sie zum Essen rufen
Virgil Mazilescu (Rolf Bossert)
Der Verwalter kann jeden Augenblick
auf der Strecke bleiben
zum teufel du verwalter ich bin die realität he die greifbare realität
die entäußerung des weltgeists im sinnlichen (hegel vorlesungen
phänomenologie)
ich bin die mit den kleinen ohren
mit häschen und murmeltieren aus knete
bin die mit süßen und süßesten worten
und wenn mir der kragen platzt und ich hinüberwechsle auf den
anderen gehsteig und dir
vorher sage: du verwalter mit dir bleib ich nicht länger
was fängst du dann an? die häschen schmelzen dahin die murmel-
tiere fliehen
in ihr eignes land keine süßen worte wirst du mehr hören
kleine ohren nicht finden in die du brüllen kannst
so daß zum teufel du verwalter ich bin die greifbare realität
ich bin die mit den kleinen ohren
mit häschen und murmeltieren aus knete
bin die mit süßen und süßesten worten
Der Verwalter erklärt worin sein Leben
eigentlich besteht
(absolut ehrlicher bericht)
der transport eines alten schranks aus dem wohnzimmer auf die
terrasse
warum macht er mir seit einiger zeit so sehr
zu schaffen - ich hatte doch alles vorausgesehn
bis ins kleinste detail
"bis zur äußersten grenze bis zum weiter-gehts-nicht"
das gehirn und der schlehdorn hinten im garten
die grüne seide und hau dem schwein eins aufs dach!
der see und die schar düsterer animalischer einbildungen:
meine liebe
denn man kann nicht mehr sterben vor kälte vor hunger auch nicht
von der kugel getroffen - doch der transport
eines schranks aus dem wohnzimmer auf die terrasse
die abgetretene schwelle das lächeln bereits zur hälfte gestockt
und den fuß den fuß zieh zurück und empfange die götter
ich habe alles vorausgesehn bis ins kleinste detail
der transport eines alten schranks aus dem wohnzimmer auf die
terrasse
mein leben
meine kleider werde ich wieder verbrennen ändern meine identität
wieviel ehre und wieviel ruhm - ich habe alles vorausgesehn
"er ruhe in frieden gott lasse ihn ruhen in frieden
es könnte ja sein daß wir von seinem tod irgendwie profitieren"
Iosif Costinas (Eduard Schneider) s
Hausordnung
Legen Sie sich nicht mit brennender Zigarette aufs Bett
und mit der falschen Vorstellung, daß sie unsterblich sind.
Bringen Sie keine entflammbaren Flüssigkeiten ins Zimmer,
keine Liebe verdient es, daß Sie zur lebendigen Fackel werden.
Verlangen Sie kein Zimmer, wenn Sie betrunken sind,
sich jemandes Gunst erfreuen oder zu allem fähig sind.
Zerstören Sie nicht die sanitären Anlagen und das Mobiliar,
kühlen Sie ihr Mütchen durch Hürdenlauf.
Benutzen Sie im Zimmer nicht das elektrische Bügeleisen,
den elektrischen Stuhl und die elektronische Guillotine.
Schnarchen Sie nicht, lauern Sie nicht, trampeln Sie nicht.
Fluchen Sie nicht, widersprechen Sie nicht, versuchen Sie nicht, sich zu erhängen.
Seien Sie niemandes Feind, seien Sie kein Kind, suchen Sie nicht, was Sie nicht hatten.
Staunen Sie nicht und erheben Sie keinen Einspruch, wenn
wir Ihnen einen schönen Aufenthalt wünschen,
einen schönen Aufenthalt auf Erden und einen gedeckten Tisch.
Und was schlecht ist, wird schon recht.
Traian T. Cosovei (Horst Samson) s
Wiegenlied
Du sollst nicht weinen - eine Träne ist teurer als
eine Eisenbahnbrücke - Du sollst nicht weinen
(sie würden dich verächtlich im Rückspiegel betrachten
oder dich verdächtigen, daß du eine neue Atombombe erfunden hast).
Am Rande des Feldes,
immer am Rande des Feldes
unter dem von Petarden und Fallschirmen durchquerten Himmel,
hörst du dem vertonten Brandschutz zu
oder der Schraubenproduktion in Alexandrinern
- bedeutende Elegien für das Mahlen des Morgenkaffees -
Du sollst nicht weinen -
dazu sind andere abgerichtet
oder um mit verlorenem Blick von gemähten Feldern zu träumen
in den Schaufenstern mit Ozeanfischen.
Du sollst nicht weinen - siehe
die Zimmer öffnen jetzt allerlei Türen
für die Seelenzustände der Schatten -
du sollst nicht weinen -
Morgen werden wir in einem anderen Bahnhof sein
unter einem anderen Regen frei und leicht seit je
zwischen den Wasserstoffballons der großen Feste
so wie Kindertränen am blauen Himmel.
Romulus Bucur (Herbert-Werner Mühlroth)
20 & 2
mir selbst, 11. mai 1978
aufgewachsen zwischen ausschnitten aus zeitschriften
in der kabine eines lastkraftwagens
jedes verflossene jahr ist ein sieg
die lyrik = tintenkleckse
g
e
t
r
o
p
f
t
i
n
s
wasser
zur lobpreisung der frauen die vor dir in die knie fallen sollen
alles was du hast - eine eintrittskarte fürs kino
+ eine befangenheit oder etwas in der art
(du schreibst nicht james dean
aus konformismus
aus furcht wegen kosmopolitismus angeklagt zu werden)
Oh, schmetterlingsjagd am rande der autobahn!
Oh jugend, brennende fackel auf einem weiten feld!
Virgil Mazilescu (Rolf Frieder Marmont)
die worte eines freundes jenseits dessen was ich weiß und anzuwenden versteh erhebt sich was ich nicht weiß und nicht anzuwenden
versteh
erhebt ihr euch schwächliche schatten und es scheint
mir bleibt keine andere wahl: da man weder durch umkehr -also
durch verzicht aufs aktuelle und lebensfähige element
und durch
den (nun gut beherrschten) fall in eine völlig andere
stellung* zu einem anderen ergebnis käme. noch durch
weigerung oder durch die taktik des friedlichen verschiebens
von
heute auf morgen. noch durch dunkel noch durch
licht. es sei denn
die musik des namens die stufen eures namens
,,man sprach zu mir: du siegst wenn du dich unterwirfst
ich unterwarf mich und fand die asche
man sprach zu mir: du siegst wenn du liebst
ich liebte und fand die asche
man sprach zu mir: du siegst wenn du von diesem leben läßt ich ließ davon und fand die asche"
(das sind die worte eines freundes der schon lang sich bemüht möglichst klar zu sehen. seinesgleichen zu begreifen. auf
recht und ohne scheu
auszuschreiten. ich hörte sie eines abends und glaube sie kommen mir nie mehr aus dem sinn.)
* will sagen: in eine andere welt und einen anderen traum
Eugen Suciu (Dieter Schlesak)
"Gefühle zu haben, heißt: unaufmerksam sein"
Poem für Rolf Bossert
Guiomar
du sollst nicht glauben daß meine Zähne je
einen Psalm singen werden
ein viel Blutgieriger wird
anhalten um den Mond
sicher
ein Wort kann Ziegel sein
doch eine Zunge ist kein Auge
höchstens
ein nächtliches Abenteuer wenn
meine Hände nichts sind
als Phantasien der Metianustraße
(die mit dem Antiquariat
Ecke zu Anatole)
dort
sind sie gleich wichtig die kleinen Feigheiten
eine Art Gesundheit
die nur die Verse unterhöhlt
und wenn ich manchmal meine Augen
als streitsüchtigen Abgrund sah
(Herr Paul, Rolf und ich)
oh! wie sehr hatten wir gehofft
die Deutschen dichten zu lehren
(doch in freien Rhythmen
weißt du nie
wenn sich das Dunkel von den Knochen
löst
ob die Guillotine gut geölt ist
oder der Nacken nach ihr giert)
hier
nach dieser Musik von heute nacht
"die Sonne steigt blau und grün auf"
blau und grün - geleckt
von einer feuchten Schnauze
einer Schaffnerpension
und hier
gibt’s nichts als Regen der
bejahend mit den Tropfenköpfen nickt
Adrian Popescu (Franz Hodjak)
Die Rohre
Wo schreibst du deine Gedichte,
fragte S. mich eines Tags.
In einem chinesischen Pavillon.
In einem Jagdturm?
Im westlichen Stadtviertel, in einer
Zelle aus Eisenbeton,
die ich selbst aufräume,
nicht in den Vorstädten des Himmels.
Weshalb versteckst du, wenn jemand
unerwartet eintritt, die angegrauten Papiere
wie ein Halbwüchsiger, der heimlich
bei Lampenlicht ein Buch liest?
Voller Draht, vergilbter Papiere
und Deckel - der Wald.
Wie kann man noch an Kobolde glauben
und Dryaden? Wo siehst du Tau?
Hör lieber den Rohren zu, die im Erdgeschoß
des Hauses vergraben sind, hör, wie sie
leise mit Parzenstimmen murmeln,
nachts, wenn niemand sie hört,
ein Lied, hör, über Quellen
und Wiesen
wohin unser Blut niemals mehr
zurückkehren kann.
Ana Blandiana (Horst Helge Fassel)
Im Schlaf
es geschieht mir, daß ich im schlaf
aufschreie,
nur im schlaf.
ich erwache und bin erschrocken
über so viel mut
in der stille der disziplinierten nacht,
und ich versuche es, den schrei
des ruhenden nachbarn abzuhören.
aber sie alle sind so klug
und schreien nur, nachdem sie sich
vergewissert haben,
daß ihr schlafen ein traum ist
im schlafe des schlafs,
wo niemand es hört, öffnen sie den mund:
was muß das für ein befreites stimmengewirr sein
im schlafe des schlafs.
Ana Blandiana (Franz Hodjak)
Müdigkeit
Was für brave Tote wir haben!
Sie brechen nicht hervor aus Vulkanen,
verhalten sich ruhig unter den Mauern,
die sich auf sie stützen.
Sie lassen sich in Statuen sperren,
in Gesten, von andern gemeißelt,
lassen sich von Fahnen einspannen
auf unbekannten Wegen, lassen sich ackern
und verwesen gewissenhaft, um die Erde zu nähren.
Was für Tote wir haben, brav und müde.
Ioana Cráciunescu (Dieter Schlesak)
Macht, Versuchung
Größe, Versuchung.
Die Lebenden kalken die großen Gruben.
Der Fall wird reinlich sein!
Anmaßender, viel zwingender
zwischen den Zeilen und Atomen beherrscht uns
Erniedrigung.
Viel wird von ihr noch zu sprechen sein!
Sie heilt das Brennen im Magen der Menge,
betäubt die Widerstandsfähigkeit,
und erfreut die Macht.
Welch ein Gewälze von Talenten im Schlamm
welch ein Quietschen der Dankbaren in den Kneipen!
Mit fleischiger Hand öffnet der Metzger die Knöpfchen
des grauen Kleides,
das heute anzog/ meine Melancholie.
Erhöhung - Versuchung.
Die Lebenden kalken die großen Gruben.
Und reinlich wird der Fall sein.
Dan Culcer Werner Söllner
Ethik
die sonne weicht nicht von ihrer bahn
der horizont verfinstert sich nicht
das meer tritt nicht über die ufer
das leben steckt sich nicht an
der rahmen zerstiebt nicht
der geist wird nicht satt
nur der hund wedelt mit dem schweif
wenn er getreten wird
Mircea Dinescu (Gerhardt Csejka)
Vertagt
Vertagt wird der Aufstand aus Gründen des Regens
vertagt wird das Baby des Brotes wegen
dabei bellen nicht nur die Hunde Maria an
und der Stern ist längst reif die Ochsen sind warm
die Weisen haben beim Gastwirt "Zur Not" hohe Schulden
Gerüchte erblühn in den Handflächenmulden
das Kind wird vertagt des Brotes wegen
der Aufstand vertagt aus Gründen des Regens
V
DAS MESSER ZWISCHEN DEN BLÄTTERN
Nichita Stánescu (Dieter Schlesak)
Die zweite elegie. getica
für Vasile Pârvan
In jedes astloch setzte man einen gott.
Wenn ein stein zersprang wurde geschwind ein gott gebracht.
Wenn eine brücke brach
vertrat ein gott den leeren übergang
Wenn auf der straße gruben entstanden
brachte man schnell einen gott um ihn auf die straße
zu setzen.
Schneide dich nicht in den finger oder in den fuß
nicht absichtlich und nicht aus versehen!
Sie werden dir die wunde mit einem gott verbinden
daß an jeder stelle
ein gott sei von ihnen eingesetzt
daß zwang sei sich ihm zu beugen ihm
dem verteidiger aller dinge die innen sich von sich
selber scheiden.
Hüte dich kämpfer verliere dein auge nicht
gleich werden sie dir die augenhöhle
mit einem gott vermauern
der nun als steinbild in den höhlen aufsteht.
Wir aber müssen die seelen kreisend
aus dem lob bewegen.
auch du wirst ihn wie fremde
in alle deine hymnen tragen und deine seele
versetzen.
Marin Sorescu (Dieter Schlesak)
Und siehe, die Dinge sind in zwei Hälften geteilt, die eine sind sie, die andere mein Name.
Am Anfang stand gar nichts aufrecht, kein Hochgebirge
ja, kein Traum/ es wäre für den Regen sinnlos gewesen von oben zu fallen.
So regnete es eben aus den Falten der Erde.
Die Tropfen kamen vom Nordpol.
Man sehe sich mal eine Karte an.
Die Bildung des Reliefs und die des Menschen
verschob den Schwerpunkt der Erde.
Nun erheben sich die Wolken fallschirmgleich.
Trotzdem regnet´s auch heute manchmal noch horizontal, dann seh ich aus dem Fenster oder in die Geschichte:
Wer von uns beiden geht wohl auf allen Vieren?
Und zwischen beiden ist ein breiter Platz, Platz zum Laufen, zum Leben.
Und siehe, du bist in zwei Hälften geteilt, die eine bist du, die andere dein Name.
Merkst du nicht manchmal, vielleicht im Traum, vielleicht neben den Träumen, daß über deine Stirn fremde Gedanken gezogen werden, über deine Hände andere Hände?
Jemand hat dich erkannt einen Augenblick lang: dein Name geht singend und schmerzhaft durch deinen Körper wie der bronzene Klöppel durch die große Leere der Glocke.
Ilie Constantin (Dieter Schlesak)
Glatt ist das Wild.
Es narrt die Treiber,
verbirgt seine Fährte, schlüpft
in den Bau mit geheimen Türen,
zeigt sich,
verschwindet,
gewinnt Konturen.
Endlos währt die Verfolgung.
Die Jäger krepieren beim Hetzen.
Bellend verenden die Hunde.
George Almosnino (Gerhardt Csejka)
Weg I
irgendwo schimmert ein weißes licht dein weg
maus führt durchs gemäuer endlose galerien
riechend nach schlaf
groß ist der hunger
könig-vater widerruft seine strafe nicht
jegliche sünde – umspült von lässig plätscherndem wasser von gift
ein braver leichnam dicht am ohr der kaputten puppe
spiralfedern und signaturen überreste
von turmuhren länglich verzognen zerfließenden uhren
Ich glaube
Ana Blandiana (Dieter Schlesak)
Psalm
(Paraphrase)
Aber siehe sogar der Zug Kraniche verriet Vorher-Sagen aufzuheben den alten Fall UND die zwei Bäume entsagten Eden weise Erkenntnis vernünftig
ist wirklich Ja mein vor sichtiger Vater
wirst du es satt haben zu frieden zu sein?
Sieh (mein Auge) Wort für Wort nichts zu sagen wurde uns ein gebläut. Herr aus diesem Schweigen versprichst du unverwest aufzuheben mir
alle Worte: daß die Vögel ihre Rückkehr erinnern
und die Blätter im Fall auf den grünen Zweig
kommen werden alles erweckt in Lehm und Blech
aufersteht wenn du mächtig sein wirst UND kein Niemand - Ersetz mir die Trauer durch den Haß.
Matei Visniec (Rolf Bossert)
Ein hoher Mann ging vorbei
ich schlenderte auf irgendeinem öden strand
des reiches umher ein hoher mann ging
an mir vorbei wer bist du fragte ich ihn gelangweilt
ich bin der könig sagte er sehr schön ich
bin der schwarzkünstler siehst du soeben spazierte ich
allein hier auf dem strand rum und langweilte mich
da dachte ich was wäre ich bring mir den könig
mal her laß ihn vorbeigehn und
frag ihn gelangweilt wer bist du?
Die Stadt voller Blumen
aber wartet doch noch bis morgen morgen
wird der könig gerechtigkeit walten lassen
morgen wird die stadt voller blumen
voller teppiche sein die trompeten werden
aus den schränken der ratsherrn geholt und ein herrlicher
marsch wird erschallen in allen
straßen der könig wird durch die stadt
reiten er wird durch die menge
reiten und sagen
der ja
der nicht
der ja
der nicht
Nie sollst du
nie sollst du die stadt Abraquilvir verlassen
ohne dir vorher ein gewehr gekauft
die augen verbunden
und eine stunde lang auf der hauptstraße
nach rechts und nach links geschossen zu haben
und reißt du das tuch von den augen
siehst du um dich herum andere leute,
die augen verbunden. ruhig spazieren sie
mit ihren durchlöcherten hüten
Dan Dánila (Georg Scherg)
Paris
in den jahren der besatzung, cioran auf dem fahrrad
auf der place concorde, zwischen panzerwagen,
lautsprechern mit edith piaf
und wagen mit rot-weiß-blauem eis,
feinsinnigen formen des widerstandes
in den cafés wurde herausfordernd geschwiegen,
philosophisch geschwiegen - die schubladen wurden geleert,
die manuskripte mit fallschirmen abgeworfen
über den almen der schweiz,
aber niemand verließ
die verdunkelte stadt des absurden,
des champagners, des kognaks,
der seidenstrümpfe
in den kellern der gestapo
wurden die grausamsten foltern verordnet:
das schlafverbot, das gebot zu schreiben
und alles und jedes - damals wußte man gar nicht
daß nicht weit davon,
in einer mansarde des quartier latin
dies ein modus vivendi war.
Georg Scherg
Matei Visniec (Gerhardt Csejka)
Erlebnisse mit der Bestie III
Die bestie legte ihre schnauze auf meine knie
nur nicht heulen, schrie ich sie an, ich
mag dich nicht heulen sehn
doch das gesicht der bestie verzerrte sich vor
kummer und meine knie erbebten
vom unsäglichen geheul der bestie
du bringst dich um, schrie ich, du weißt doch
das heulen ist tödlich für dich
halt ein, rief ich ihr zu
aber das auge der bestie schwamm zuckend in tränen
ihrem mund entquollen brocken vergangener mahlzeiten
und in ihrem herzen rötete sich allmählich die luft
Da heulte auch ich auf dem haarigen arm
der bestie und wir erinnerten uns an kastanienblätter
und an den schönen blauen pelikan
VI
wie du zu kämpfen weißt mit dem erstbesten Fliegenschwarm
der sich auf die Ideale gesetzt hat.
Nichita Stánescu (Oskar Pastior)
Naturgesetz
Weil ich mir's vorstelle
sagt er:
Zwei Hände haben und an
jeder fünf Finger das ist
ein Naturgesetz,
zwei Füße und an jedem
fünf Zehen das
ist ein Naturgesetz.
Ich hocke im grünen Busch und
stelle mir dieses Naturgesetz vor, es
ist ein Naturgesetz wenn man
zwei Hände hat
und fünf Finger an jeder, es
ist ein Naturgesetz wenn man
zwei Füße hat
und fünf Zehen an jedem, es ist ein Natur-
gesetz wenn man einen Schädel
mit zwei Augen hat und zwei Ohren
und zwei Nasenlöchern
und zwei Augenbrauen und mit jeweils
einem Paar Abständen dazwischen.
Er sagt mir, weil ich mir's
vorstelle hast du
einen Kopf, zwei Hände zwei Füße. Und
außerdem sagt er: steh auf und
geh.
Laus Ptolemaei
Fragment
X Ärger darüber, daß zu wenig Gefühle
rings um die Ideen zum Ausdruck gebracht werden.
Nun also, über alle Vorstellung hinaus
taub geworden vom Gras und abgegrast
von den Gäulen der Phantasie, lasse ich
federnden Schrittes die Silben zurück.
Glatt gehobelt bis aufs Blut vom fröh-
lichen Quieken nie gesehener Kinder,
das an den wundgescheuerten Nerven
zerrt, bis der Schmerz zerreißt.
Ich lasse also einen von allen Seiten
ständig attackierten Zustand der Mau-
erhaftigkeit, der Mückenbelästigung,
des vom Mond her strömenden Geruchs
hinter mir. Desgleichen die heilige Scham-
losigkeit des Schenkels einer nackten
Frau, des Hungers, der Küchenabfälle,
des Raufens mit Winkeln, Geraden, Spi-
ralen, das alles lasse ich also und zwar
sozusagen in sich beruhend wie das Dot-
ter im Ei, irgendwo in der Mitte, rauh,
roh, wie alles Alte und wie alles Neue.
Elena Stefoi (Rolf Bossert)
Direkt auf den Olymp wirst du gelangen
Schau sie dir an, die kläglichen Reste
des Heiligenscheins. Mit zusammengebissenen Zähnen
geht die Geschichte an deinem Namen vorbei. Hast du Angst,
so zu tun als ließe dich das kalt,
hast du Angst? Da wächst ein Paar Krallen,
schau nur wie´s wächst, lächelnd, im Spiegel. Großartig,
wie du zu kämpfen weißt mit dem erstbesten Fliegenschwarm
der sich auf die Ideale gesetzt hat.
Doina Uricariu (Herbert-Werner Mühlroth)
Exil
Wie lang soll'n wir noch in einem fremden Hause wohnen?
Unsre Feinde und die Meineidigen lieben?
Wie Zugvögel ein Nest uns bauen
aus Resten, Herr, zu soliden Resten?
Exil neben Exil,
Das Exil aus Exil.
Öffnet eure Schnäbel: ich habe euch das Exil gebracht,
verschlingt es geschwind!
Nahrung habe ich euch gebracht.
Auf die Körper der Jugendlichen in T-Shirts
Auf die Körper der Jugendlichen in T-Shirts
in die vom vielen Tragen geweitete Baumwolle fiel die Elegie.
Du trugst mich auf den Armen zum Strand, nach Kap Aurora.
Auf den Scheitel Gottes fiel der Schatten der Möwen.
Die Muscheln hätten die Fersen mir zerschnitten,
hättest du auf deinen Armen mich nicht getragen.
Ich gehörte zu dir wie der Schatten der Möwen auf dem Scheitel Gottes.
Ich ging, um Shakespeare zu lesen,
den ungeschliffenen Caliban,
du kehrtest zu deinen Freunden zurück
und binnen zwei Stunden umnebelte der Wodka euer Hirn.
Wie die Faust Stalins
fiel dein Kopf dir auf die Brust,
mit seinem schweren Kinn die Weltreiche verteilend.
Die Reiche in einer Wunde, von links nach rechts,
reihten ihre Gräber aneinander.
Virgil Mihaiu (Peter Motzan)
Mit eigenen Augen
Wir drängten uns zwischen
den papierwänden eines zeltes zusammen
das wir aus einigen geretteten büchern zusammengeklebt hatten
nur zu gut wußten wir
daß wir nichts als unsere pflicht taten
vom ufer riefen sie uns zu:
rettet eure seelen
wir redeten uns ein
daß wir mit eigenen augen
erleben müßten
wie das alles zu ende geht
Auf der Lauer vor dem Briefkasten
Ich erwache mit bleiklumpen in den augen
und versuche mich an den geschmack des brotes
an den lockruf des lächelns zu erinnern
auf dem flugweg zu mir
wurde dein brief auch diesmal
von den falken angefallen
die tränen haben die farbe des blutes
das einsickert in die buchstaben und
in klare und trübe, schwere und leichte gedanken
Mildernde Umstände
Nichts bleibt als:
ein notizbüchlein
eine rippe
ein splitter
der entwurf einer großen subjektiven utopie
währenddessen gleitet deinen hals
der kühle revolverlauf hoch
und pfeift dir erneut den befehl ins ohr:
sei glücklich
Augustin Frát
ilă (Dieter Schlesak)
Bibliothek
Die wahre Fülle
liegt unerschöpflich in der Leere.
Lao-tse
Bibliothek, die mir das Leben nahm: ich - atmend
und schon tot:
sehr müd in dieser Irrfahrt
jahrelang von einem Ende
meiner Blutbahn hin zum andern
mit meiner Liebsten
dragam
Albia.
Pausenlanges Schweigen
ist ein Herzstoß. Er fehlte hier
der langen Heimkehr; die Rückkehr
war sehr müde und sehr arm - der Weg
er hatte seinen hohen Preis: Das Leben!
Ich konnte Ihn in mir
nicht wachsen lassen, Ihn nicht erhalten - so
gab ich Ihn dem Tod, weil Er der Tod ist ... Ein Jetzt
das in mir ruht; so stehe ich und schau nach außen,
den Träumen nach:
Ein Adler der zuerst den Löwen aus-
nimmt, erspürt die Schwarze Katze Nacht der Hosentasche
und wie der Glanz des schwarzen Fells
vor Angst verlöscht/ Eins wird mit dieser Finsternis,
das Kind versteckt sich in der Kindheit - sieh,
es sind nun Sie - Sie suchen mich
von Zeit zu Zeit, Sie sehn mich schweigend an; und Sie
verschwinden kurz vor dem Erwachen;
mich sehn jetzt, nur die frischen Ameisen-
haufen, Krater
der Maulwürfe Augen der Dunkelheit ...
der Schmerz ist zu ertragen, welch eine Qual! Ertrage
den Schmerz schon besser; denke sogar:
Ihre Wiederkehr würde mich verwirren, jetzt, daheim:
so viele Jahre vergeudet, soviel an Versöhnung fleißig
zusammengetragen, so viele Lügenbücher,
die Ihr Verschwinden zelebrieren! Nein -
ausgerechnet jetzt nachdem ich aufgebaut
solide Trauer; aus trockner Haut des Wortes `Liebe`
(und ich habe dir doch gesagt - während meiner Abwesenheit, dieses Wort darf nicht verkommen, sich balgen gar mit anderen Wörtern, hab´s dir gesagt!) und schuf so
drei Visionen, drei Fenster - denn in Richtung Norden
ließ ich zu riesige Flügel adlerartige Himmelsfrequenz
zehn Fundamente kindlicher Leucht Türme
genau an der Kreuzung warten
"auf jenen der sich niemals verirrt" ... und dieses bleibt
so Jetzt und nur noch: dies:
wenn ich die Augen schließe
tritt hier Niemand mehr ein ...
Ich, ein Berufseinsamkeitler hier, ich
werd mich im dolce far niente und
taugenichtsartig auf dem Rücken
meiner Erinnerung selbst verbrennen
im Tode lachend: Nichts als
mit meinem Selbst zu hadern
im Abgrund
der Geister im Keller der Glorien- und
der Heiligenscheine erhöhnt?
Den Letzten den Vers
werd ich anstecken können
um bei seinem Schein noch
zu schreiben
den nächsten den allernächsten Vers ...
Von jetzt an
Nie mehr ein Flüchtling zu sein...
Virgil Mazilescu (Dieter Schlesak)
Die Mutter der Aufständischen, die Nachtigall
Die Mutter der Aufständischen, die Nachtigall
ist eine entfesselte Mutter,
eine Mutter, die Handspiegel verkehrt hält.
Du Mutter, du drehtest den Schlüssel in meinem trägen Blut.
Langsam, langsam bewegtest du den Schlüssel, wie bei einem Einbruch.
VII
PRIVATUNTERRICHT
Daniel T. Suciu (Edith Konradt)
Aus:
Apropanz, wie kein anderer
Dem hochmögenden Landvermesser
Ion Barbu gewidmet
(Fragment)
In dem Augenblick als ich eine Kneipe
betrat in Apropanz
der Schnaps faulte in den Gläsern
und ich konnte nur
wenige Tage
zusehen wie der Schimmel quillt
aus dem Glas und an den Tischen
alle überzieht
blau wie Frost
war meine Angst weiter zu sehen
und wohin mich dann verirrt mein Gott?
In Apropanz bestehen
die Häuser aus vier Fenstern
das Dach ist die Tür
durch die allein von
Zeit zu Zeit
Ausgang gewährt wird
(einigen)
In Apropanz haben
die Vögel keine Flügel
sie weisen mit Fingern wohin
sie fliegen wollen
und weinen wenn
aus den Eierschalen
das Junge mit verstümmelten Flügeln
schlüpft
es sind schwere Zeiten
für Apropanz
Gabriela Melinescu (Oskar Pastior)
200 Jahre
Ooh das wunderschö-
ne Leem!
Meinz jedoch ee-
wickverbiestert.
Wie staken Lucky Luke und
Spindel-Phil Defer
in der beschissnen Tinte.
Wer von den aller-ober-chiefsten
will mir die Silbersommersprossen reichen?
diese Schraubenköpfe im Ab-
sinthgekröse? (saufs aus
Hick-Hollow-Gequassel saugs auf
durch drei Papillen Balsam)
Ich sage bloß: genug mein Fräulein!
Und in der Sperr- und Trauerpinte
noch einen Schmatz auf´s
Kampferseelchen dieser
Fummelpichlerinnen
im Tresengriff.
Mitunter flotze ich geblümt und spöttelgalgisch.
Privatunterricht
Die Privatstunde beginnt
mit einer Kollektion Fingernägeln und
Kinderhaar
tschüs Berthe!
Unvorstellbar dieser Purpur
auf der Haut war das ein Fall
gib acht aufs Gesicht kommt´s an
tschüs Berthe!
Dieses löblich zu finden
sei höchst erfreulich
einen zarten Gaumen mit
Zahnschmelz vorzeigen huch ein
Oriongestirn mit Haß-
schnitzerei.
Was habt ihr uns noch zu sagen
wir sind eh mit Alkohol unter-
jubelt Minusgraden Stacheldraht-
spasmen tschüs
Berthe!
Die Prinzessin
Ha nicht lebensmüd ha nicht sterbensfroh
ha ich bin ha dgegen. Aha!
Am liebsten zögi mirdi Karotide
mit e i n e r Hand (faule Krabbe)
ausm Hals.
Du siehst ich kann nicht kommen.
Wohlix Kribbeln hebt an. S
boigt mich hin zd
1000 Feeflaumfeder-
betten wos fos-
forgrün bioströmlich
drunter läppelt.
VintilăIvánceanu
(Dieter Schlesak)
genügend männerschenkel
auf dem schanktisch mit leeren bierseideln
und die kellnerinnen im pyjama
verkaufen grabsteine ab einem kilo
die frösche quaken im schlaf
und die heiligen murmeln flüche
in dieser nacht klebt der alte filatelist
eine briefmarke auf sein foto
nachts nur nachts werfen die katzen
zwei drei junge
ein akkordeon bläst sich auf ein toter bläst sich flach
und die autos bewegen sich langsam
wie bischöfe durch die menge
mach mich zum soldaten mutter
ein land zu erobern wo
kein mensch geboren wurde und nie
zur welt kommt ein mensch
dort möchte ich mir mein meer
auf die füße stellen
und dort dichter zur welt bringen
Mariana Marin (Gehardt Csejka/ Helmut Frauendorfer)
Offener Brief oder Erwartet mich nicht mehr zu frühesten Stunden
Auch heute noch umgehe ich die Ameisenhügel aus Angst, ich könnte der Königin wehtun oder einen ihrer Untertanen zertreten. Mir sind zu Lebzeiten aber Menschen begegnet, die hätten mich gern im Bannkreis des Makabren gehabt, sie hielten meine Fußsohle
für den Höllengrund selbst und wollten, daß auch ich das so sehe. Ihnen erkläre ich folgendes:
Ich stehe auf der Seite des Lebens, ich begreife Gesundsein nicht als Defekt ich finde am schieren Sterben keinen Gefallen. So laßt mich denn
beladen allein mit dem Fluch der Ameisenkönigin, der ich vielleicht einen Untertanen aus Unachtsamkeit getötet habe.
Sie weiß, daß ich sie jedesmal um Vergebung bat und am Grab jeder einzelnen zu Tode gekommenen Ameise nach Kräften ein Gedicht aufrichte.
Virgil Mihaiu (Peter Motzan)
Heiter
Der Tag beginnt mit einem Sonnenstrahl. Ich öffne den Postkasten,
dein Brief schlägt Purzelbäume. Während ich ihn lese, sehe ich,
wie die Buchstaben deinen Lippen entspringen. Nun trage ich
in der Tasche dein Herz, zur Sonne wird's und pocht
berauschende Glut in den Tag.
Waage
Dieser Sonnabend beginnt beinahe unparteiisch,
in den Himmeln schnurren die Wolken, der Wagen
ist in Sicherheit, das Wasser steigt in den Leitungen
hoch, das Gas brennt pflichtbewußt in der Küche,
den Druck der 35 Jahre fühle ich nicht, da ihm
die Illusion der anderen, noch ungelebten entgegenwirkt.
Emil Brumaru (Alfred Kittner)
Elegie
Ihr Sommerküchen, mir vertraut seit lange schon,
Des Mittags Wohlgeschmack fühl ich im Mund,
Die Traurigkeit ist um mich wie ein Hohn,
Doch träum ich mich als Kind und -
Sehe Nelken, Pfeffer, fein geröstet auf dem Herd,
Die Fische dick, in milchger Tunke schlaferstarrt,
Die Puter, eine Nacht im eignen Saft bewahrt,
Daß ihre Leckerheit unendlich währt,
Pilze, wie Kanapees, mit duftgem Spitzenspiel,
Des Roggens Korn: Glotzaug, sperrangelweit,
Der dicke Teig, der schwer nur aufgehn will
In engelhafter Tölpelhaftigkeit,
Das Innre weicher Leber, gut verwahrt
In Schneckeneierfäßchens tränensüßer Truhe
Traumhafte Knoblauchtunken, Schinken zart,
Will betten sich die Seel im Senf zur Ruhe;
Und in den Kannen, die Erlauchtheit offenbaren
Durch Glitzerprunk und Henkel prächtiglich,
Tee, der verdampft zur köstlich-wunderbaren,
Zur rosenfarbenen Essenz des Dings an sich!
Emil Brumaru (Anemone Latzina)
Naives Lied
Ein kleiner Fisch der war sehr trist
Im Fischweiher des Grafen
Und liebte einen Amethyst
Am goldnen Ring des Grafen
Er kam in einer Kutsche an
Bat um die Hand des Grafen
Doch abgewiesen starb er dann
Im Angesicht des Grafen
Ein stolzer Diener briet sodann
Auf Anordnung des Grafen
Zum Abendbrot mit Thymian
Ihn für die Katz des Grafen
Leonid Dimov (Else Kornis)
Das Lied von den Wohnräumen
Wir wollen ruhigere Hintergründe,
Nach bestem Wissen tun wir was dafür,
Und just, als ob sie uns im Wege stünde,
Verlegen wir sogar die brave Tür.
Wir möchten grüne Gärten um uns sehen,
Und seien sie auch aus Brokat gemacht,
Odysseus soll im Glanz vor uns erstehen,
Von Aphrodite mütterlich bedacht.
Wir wünschen uns auch Purpurdraperien,
Die Falten voller Falter aus Email,
Der Wohnraum soll in Bischofsrot erglühen,
Auf daß hier jeder Tag ein Festtag sei.
Den Lehnstuhl schmücken weiche, gelbe Kissen,
Von vielen blauen Knöpfen eingefaßt,
Auch Topfgewächse wollen wir nicht missen.
Denn Blumen laden Käfer gern zu Gast.
Ein Umhang liegt dort drüben - lila Seide -,
Mag sein, daß heute wer erwartet wird...
Schon schließt die Nähschatulle sich vor Freude,
Und vom Schatullendeckel lacht ein Hirt.
Hier Elfenbein, gebracht von Karavellen,
Die sich einst sturmgepeitscht dem Land genaht,
Da, neben Farben, matten oder grellen,
Ein blendend-weißes Feiertagsornat.
Aus einem goldnen Tabernakel blicken
Uns Heilige mit ernsten Augen an;
Je nun, der Schrein will von der Stelle rücken:
Es ist, als zöge irgendwer daran.
Die Heiligen Drei Könige dort scheinen
Des Siegs über Dämonen ganz gewiß,
Was es an Farben gibt, erglänzt am Leinen,
Doch mitten durch die Leinwand geht ein Riß.
Leonid Dimov (Dieter Fuhrmann)
XXXIV. Sonett
Lauf an die Straßenecke, tritt in den Krämerladen
Und gib dort nur die Auskunft, du seist entsandt von mir,
Kauf ein Rückenpolster, Papier und Bindfaden
Nebst einer Flasche Anis, mit Siegel und Petschier.
Wir baun dann einen Drachen und lassen ohne Schaden
Ihn hoch ins Nachtblau steigen über der Mordstatt hier.
Erklirren die Signale in kosmischen Kaskaden,
So winkt uns bald ein Päckchen mit Schlafelixier.
Nicht wirst du's je erfahren, noch wirst du je es verstehen,
Wenn, anderen Gesetzen zufolge, aus den Höhen
Ein rotwangiger Apfel zur Erde niederfällt.
Ich aber, viele Meilen ins All hinaus gespiegelt,
Werd' weiter Wache halten, von Anisduft beflügelt,
Um Antwort zu erhalten im Dunkel dieser Welt.
Hetze
Schwere Nacht, ein Labyrinth,
Schneeverweht ist jede Straße -
Sieh das Lamm im Silberwind
Gleiten wie auf glattem Glase!
Hart dahinter, lächelnd, still,
Springen von den Barrieren
Wie in drahtgezognem Drill
Schwarze Wölfe voll Begehren.
Öffne nicht! Ein Glöckchen klingt
Weit in diesem strengen Froste.
Gleich nach jenem Lamme dringt
Auch der Wolf ein, daß er's koste.
Rondel von der aufgesteckten Kerze
Es brannte eine Kerze, aufgesteckt
Auf eine andre Kerze, die da brannte,
Und in der Kerze Watte, eingeweckt,
Selbst weiß mich übersteigend, ich mich spannte.
Da lachte eine Maske, breit gebleckt,
Des schweren Würfels, sinnentleerter Kante:
Es brannte eine Kerze, aufgesteckt
Auf eine andre Kerze, die da brannte,
Zur Decke schwebt' empor ich, jäh erweckt,
Zum aufgemalten Gott, des nonchalante
Figur die Sternenkiste übereckt',
Da ihn das rauchlose Geschehen bannte:
Es brannte eine Kerze, aufgesteckt...
Leonid Dimov (C. Alioth)
Rondel vom verschwundenen Spieler
Es war ein Garten wie ein Labyrinth
Und mittendrin war eine Kegelbahn.
Man sah den Spieler, der da kam; geschwind
Lag in der Hand schon ein papierner Kahn.
Gelächter, das hell, silbern dann zerrinnt,
Hielt noch im himbeerfarbenen Abend an.
Es war ein Garten wie ein Labyrinth,
Genau im Zentrum stand die Kegelbahn.
Das Kegelspiel sich seinen Fall ersinnt,
Es stimmt mit Klirren einen Singsang an.
Der Spieler jedoch, kaum, daß ich ihn findt!
Ist er verschwunden; Leere starrt mich an
Aus diesem Garten wie ein Labyrinth.
Leonid Dimov
Im hohen Bogen auf das Bollwerk spucken
An deinen Zitadellen grün uns jucken
Den Apfel den sie mausen uns erthronen
hoho und mit den Wölfen nachts im Park
beim Katzundmausspiel uns nicht schonen
Oskar Pastior
Sorin Márculescu (George Gutu)
Imagomachie (IX)
Hier zwischen einem Wappenschildhaus
und einem Seminar gezirpt in Fetzen
da ist die Luft viel glatter und man gleitet
beim hohlen Anstoß eines blauen Gehrocks
zum Stuhl des Richters: nach dem Sprung dreifach
wird aus dem Kamm ein bröckelndes Asyl
du - wieder dreimal - nimmst im Kupferwasser
das Flittergold aus Fingernägeln wahr
im dritten Kreis hebt's sich zu andren Ängsten:
hier dreht der Richter sich um sich herum
das Kenotaph in Fohlen auferstanden
vollzieht im runden Vogel die Verbindung
von blindem Blick und seinem eignen Teig
das Rad lebendig bläht sein Schaukeln auf
es staut - zuvorderst du auf einem Flügel -
die Kuppeln in Vorhallen und kippt um
das Pflaster in die Rebe und den Tod in Felsen
und die Propheten alle in Pokale
uralter Sarkophagen über Weiden
mit Myrten und mit Gaben hingeschleppt
von deinem Stuhl aus dann im Frühlingswinde
durchs Flußbett-Blut zugweise durchgesickert
in die Radfelge ohne Gegner-Gott
bringst du das Sichtbare dreifach zum Sprung
daß du im geisterleeren Zelt erscheinst.
Augustin Frát
ilă (Dieter Schlesak)
Ballade
Heep,Heep,Uriah!
Heep, Heep, Uriah!
Und ich kam an zur Nacht
- spät.
Mitten in dieser Irrfahrt besetzt
alle Stühle, das Vorzimmer, die Küche,
die Tafelnden tot, und erwarteten Ihn,
den SOHN.
Auf der Couch ausgestreckt der VATER; auf dem
Teppich geblieben: offen: der Sarg - Kein
Platz außer am Boden da unten
das Offene:
"- Wieder verspätet!" (Ich verspätete immer!) konnte es
lesen auf dem Nachttisch-Spiegel
mit Atemhauch zart das Warmgeschriebene ...
Er hatte den besten Anzug an
die neuen Schuhe - ich aber löschte
eilig
das eben Gelesene, und reinigte den Boden
das Linoleum, die Klinke, und
machte mich aus dem Staub...
"Dady, dady come and see, look
what I have found!" rief Melinda: so schließ
doch die Tür, hör´n wir Blues, ja? Blues um uns
zu erinnern, ja? Wir waren so krank - und ER
ja Er nahm´s Akkordeon ( Marke Weltmeister), spielte`
n´Ländler steierisch, dann "Kukuruzbrechen"
ab oder besser´n Jazz? Viel Jazz hören, Ja?
Nur um uns zu erinnern: Schlawiner! - Er
wartete immer bis Mutter einschlief, schlich in die Küche
sein ganzes Wesen vibrierte im Kitzel:
heimlich sich einen Kaffee zu kochen ...
Und doch Melinda Mädchen ist´s leichter
den Blues zu erinnern so komm doch und setz
einen Blues auf: ja hol mir, zum Teufel,
endlich den Pfropfen Blut aus dem Ohr ...
VIII
WARTEN AUF WIRKUNG
Und alles, was mit Gewalt zurechtgebogen wird,
zerbricht...
Geo Dumitrescu (Rolf Bossert)
Das Afrika unter der Stirn
Nur schlechte Nachrichten kann ich noch erwarten.
Nur schlechte Nachrichten kann ich noch überbringen:
Ein weiterer Baum ist gestorben,
ein weiterer Vogel fortgezogen,
jemand hat sich die Seele zerschnitten
an einem Spiegelsplitter,
irgendwo in den Kontinent der Liebe
sind die Känguruhmenschen eingefallen...
Alle Winde wehen verkehrt
und sagen, daß die Bäume - die von ihnen
gekrümmt worden sind - geradegebogen werden müßten. So
ist die Sterblichkeitsrate der Bäume
erheblich gestiegen:
Denn nichts, nein, wirklich nichts kann geradegebogen werden
ohne die Billigung der Säfte,
und alles, was mit Gewalt zurechtgebogen wird,
zerbricht...
Deshalb erwarte ich nur noch schlechte Nachrichten -
die letzten Feuer werden wahrscheinlich verlöschen,
hartes Pferdehaar wird wachsen
auf den letzten weiß und strahlend gebliebenen Stirnen,
die noch nicht vom Knüppel zerschmettert worden sind,
und die letzten Lieder im Wald
werden von den Gorillawölfen gesungen...
Bis dahin müssen sich alle Leute
höchstindividuell kratzen -
so sieht es das Gesetz vor, so will es der Brauch
vor dem Tode. Insistieren Sie nicht,
Ausnahmen werden nicht zugelassen -
bloß die Armlosen dürfen sich gegenseitig
kratzen, mit der Schnauze oder mit den Füßen...
Inzwischen ist ein weiterer Baum gestorben,
ein weiterer Vogel fortgezogen,
jemand hat sich den Spiegel zerschnitten
an einem Seelensplitter,
und die Känguruhmenschen vermehren sich
aus der Hintertasche der Welt...
Nur schlechte Nachrichten kann ich noch erwarten.
Marin Sorescu (Oskar Pastior )
Der von ungefähr dort um die Ecke
Der von ungefähr sitzt am Kommandopult
auf dem die Anzeige fehlt.
Mechanisch und zerstreut drückt er Knöpfe
- erfundene oder reale,
mal hier mal dort -
die mit nichts und niemand
in Verbindung sind.
Wir machen uns lustig über ihn,
vertrottelt, sagen wir, ist der von ungefähr.
Und das tatsächliche Kommandopult
rostet schrottreif um die Ecke.
Dessenungeachtet
kommt dann alles unvermeidlich
haargenau und so als hätte
der von ungefähr es so gewollt.
Kein Nagelbett eitert ohne sein Wissen.
Wir fliegen einer nach dem anderen auf
und in die Luft sogar von ungefähr
nach seinem Schema, ist das
nicht absurd?
MARIN SORESCU (Oskar Pastor)
Bis die Bohnen kochen
Gelegenheitsgedicht
zu einem Referat über Grenzfragen
Bis die Bohnen kochen,
lese ich gemütlich die Zeitung. Wenn es stimmt, daß
Kochen am Leben hält, werde ich noch sehr viel
Zeitung lesen können. (Wenn nicht, dann nicht.)
Da gibt es Dinge, die sich wiederholen,
und auch viele diskutable Nachrichten.
(Zuverlässig wie immer: die Seite mit den Toten.)
Inzwischen aber sind die Bohnen in Bewegung, brodeln
sogar - und begleitet von menschheitsbewegenden Fragen
(die Lage im Mittleren Osten, die Eskalation diverser Wettläufe) betrachte ich durch den Dampf das Auf und Ab
der Bohnen im Topf, wie Fischlein in einem Aquarium, umgetrieben vom Fegefeuer innerer Strömungen. (Gestern
habe ich mein Zimmeraquarium abgeschafft; in diesem
Winter friert alles zu; jetzt liegt es irgendwo im Hof.)
Gleich müssen die Zwiebeln rein, auch die
Kartoffeln warten, daß ich sie schäle (da gibt es
Leute, die behaupten, man soll die Schalen mitessen), je-
den Augenblick kann die Petersilie eintreffen,
tja, und die Möhren muß ich diesmal ganz dazutun --
Und so, im Dunstkreis aktiver Küchengeschäfte
lernen wir die Vielfalt der Welt
kennen und schätzen; ja, zu akzeptieren;
selbst diese schwer bezähmbaren Widersprüche
werden immer klarer; denn schließlich, bitte, haben
die Kräfte des Guten letztendlich zu siegen ...
Entweder ist die Flamme zu groß, oder
sie ist zu klein - denn schon mahnt ein lieblicher
Duft, daß etwas unternommen werden muß.
Also stellst du die Flamme größer,
gibst die drei Möhren hinzu,
die Zwiebeln, die Kartoffeln...
Auf der letzten Seite angelangt,
kann ich ja wieder von vorne beginnen.
Es herrscht Ruhe, und alles ist wunderbar.
Das Wasser hätte zwar längst gewechselt werden müssen,
nun ja, was soll's!
Selbst die uralten Probleme erscheinen in einem neuen Licht. In der Tat: beim Kochen gerät man sozusagen in den
Rhythmus
ganz wesentlicher Dinge - das Waschen von Gemüse,
das Spülen von Tellern, das sich Wandelnde an den
Gedanken,
die Möglichkeiten der Wasserleitung - »warm«, »kalt« -
ja, das glättet und besänftigt die Nerven.
Deshalb haben die Chinesen auch so unendlich viele
Jahres- und Gedenktage auf ihren Listen... geschweige denn die Italiener. . . sogar bei uns ist ja die Lebenserwartung ehemaliger Armeeköche unentwegt gestiegen; einer in der Nachbarschaft zum Beispiel, der »am 3. April ins 94. ging«; und seit drei Jahren wachsen ihm wieder die Zähne - sein Gebiß ist schon völlig intakt. Allerdings
braucht mein Freund Nae Diaconu für einen Kochvorgang
nun 2 Liter Wein; und, wenn die Bohnen älter sind
auch ein paar Schnäpse.
Die Fotos sind ziemlich verschwommen,
die Lettern manchmal zu klein.
Erstaunlich nur, daß die Mexikaner mit ihrer ewig
sich verschlimmernden Krise überhaupt noch leben.
Aber wenn du mal über 75 bist, darfst du mit einem neuen Lebensfrühling rechnen; mit 8o kannst du sogar nicht mehr weinen, ziehst dir zum Wärmen den Kosmos an, so wie er grad ist (ist, nicht ist, mit Gott, ohne Gott)
und kümmerst dich plötzlich sehr um alles
was in den Zeitungen steht.
Bald bist du so geübt darin,
daß dir keine Nuance entgeht.
Vielleicht doch noch eine Zwiebel?
Reine Vitamine.
Wie die ganze Kochkunst: endlich begreifst du
das Geheimnis aller Kantschen Spekulation;
auch er hat selber gekocht.
Ja, mit einem Stück Zwiebel rettest du dich
vor den Magnetstürmen der Sonne, die so gräßlich
sich häufen und die Erde mitsamt ihren herrlichen Errungenschaften zu verschlingen drohn.
Zwei, drei Artikel hebst du dir
für nach dem Essen auf.
Die Türe knarrt,
während ich die Zeitung falte.
Meine Frau kommt vom Markt.
»Was tust du! Auf so großer Flamme
kocht man keine Bohnen,
bestimmt sind sie angebrannt!
Laß mich weitermachen,
geh, schreib.«
MARIN SORESCU (Oskar Pastor)
Warten auf Wirkung
Du wartest auf die Wirkung
einer Dosis
tödlichen Lebens.
Und es zieht sich in die Länge
die Zeit
wie ein Speer-
wurf aus dem Sattel
(hab ich dir nicht gesagt, sein
Lieblingsziel bist du, sein
beweglicher Pappkamerad?) -
die Sonne freilich
dreht sich im Kreis.
Warum zieht sich aber die Zeit
so schnurgerade in die Länge
wie ein Wurfspeer, der
aus dem Sattel saust?
Du wartest, du wartest
und wartest.
Ion Gheorghe (Dieter Schlesak)
Unaufhörlich aus Gewehren feuernd...
Der Ingenieur (er hat n´en Pflanzennamen) sprach:
So, Herr Professor:
ich zieh mich ins Gebirge dannzurück -
und das Gewehrfeuer wird nicht enden.
Das sagte er
als wir auf dem Atlantik waren,
nachdem er seine ganze Jugend
vertan mit Sitzungen und Parolen,
nun ja verschieden sind die Waffen
dieses Klassenkampfes.
Er war: Partei, der Aktivist
auch er durch Ausschluß oft bedroht.
Dann wurde er der Ingenieur der Fischerei,
erwarb japanische Fischkutter
aus den Hitaki-Werften
und fischverarbeitende Maschinen
aus nördlicheren Staaten.
Mit einem Flugzeug
überflog er auch den Nordpol;
oft landete er kurz in Alaska
noch vor dem großen Erdbeben war´s;
und heiratete die junge Ingenieurin;
er lieferte von Gibraltar aus und auch
von anderen Märkten Waren günstig
mit Rabatt zu Niedrigpreisen.
Natürlich kaufte er dann freilich auch
ein junges Auto -
und ruhte sich im Heimatlande aus,
wo man zwar nicht verhungern,
jedoch bald durchdrehn kann;
hier kannst du dich nur seltener bereichern,
dir Ruhm erwerben -
für einen einzigen Sommer dann.
Doch ehrlich unbestechlich
und schön wie früher
wird kaum dies Leben jetzt
am Ende sein
Die meisten
reißen lieber aus ihm aus -
als fürchteten sie diese Wolfsjagd
und ziehn sich ins Gebirge dann zurück,
dort unaufhörlich aus Gewehren feuernd.
GRETE TARTLER (Grete Tartler)
Im Fahrstuhl
Du trittst ein in dieses Musikinstrument -
die Luft,
angefüllt vom Atmen,
steigt mit dir ins letzte Stockwerk.
Man sagte dir: es gibt keinen Riß -
doch trotzdemn dringt von irgendwo ein Hauch ein.
Der oberste Schaltknopf fehlt.
Die Bewegung
des Fahrstuhls wie die eines Pendels:
wie ein Blatt, das von links nach rechts,
von einem Pflasterstein zum anderen geweht wird,
wie ein Schauer, der auch deinen Nacbarn überläuft.
Vergiß, daß du heimkehrst,
verbrenne deine Flügel
solange noch Zeit ist!
Auch morgen könnte ein Sturm
die Decke des Käfigs wegblasen -
dann/ darfst du dich nicht mehr
an die engen Wände klammern.
ELENA STEFOI
Bis ans andere Ende der Welt
Aus dem Abgrund die Fäulnis
belauert hinterhältig
den letzten Tag,
seine ärmlichen Spiele.
Und was tut der letzte Tag?
Hingefläzt in teuerstes
Bettzeug räkelt er sich
vor meinen Augen im Sarg.
Bis ans jenseitige Ende der Welt
bleibt die Wüste neutral:
und doch spielte das Projekt
meiner Biographie mir
hier seine Streiche.
Fünf Sinne habe ich noch
und alle fünf sind sie
anscheinend jetzt erst zurückgekehrt
aus Auschwitz.
Adrian Popescu (Franz Hodjak)
Armer Henker
Nachdem er sorgfältig die Kunst und das Vergnügen,
die anderen Leute zu demütigen, erlernt hat,
und alle Kniffe der Heimtücke und Niedertracht,
nachdem er es zu etlichen Erfolgen gebracht hat in unter-
weltlichen Geschäften und ihm eine hübsche Rente lacht,
könnte es sein, daß er einen ganz gewöhnlichen Tod stirbt,
wenn er sich nicht zufällig in der Schlinge verfängt,
die er mit soviel Durchtriebenheit für seine Opfer gelegt hat,
oder
wenn er sich nicht vor Begeisterung die Kehle durchschneidet.
IX
ALS DIE DINGE AUS IHREM NAMEN FIELEN
Dezember 1989: die großartige Kollision
der völlig verschiedenen Schußlinien ...
Nichita Danilov (Eduard Schneider)
Die Guillotine
Ein noch junger Mann
steht vor einem offenen Fenster
und schreibt in einem großen grünen Register.
Der noch junge Mann
trägt einen Dreispitz und Livree.
Vor seinem Fenster
ist ein Lämmerschlachthof.
Inmitten des Schlachthofes ist eine Guillotine.
Jenseits der Guillotine eine grüne Wiese.
Einzelne Lämmer erheben sich auf zwei Beine,
blöken ruhig vor sich hin,
dann wird ihnen auf der großen grünen Wiese
der Hals durchgeschnitten.
Der junge Mann
trägt Einglas, Dreispitz und Livree.
Seine Augen sind blau,
die Hände feingliedrig.
Über ihm hängt
eine Lämmerschädeluhr.
Vor ihm ist ein Fenster,
hinter dem Fenster steht er und schreibt
mit angestrengter Aufmerksamkeit
in einem großen grünen Register.
Jenseits des Fensters der Lämmerschlachthof,
inmitten des Schlachthofes eine Guillotine.
Es ist das Jahr 1793.
Der 21. Januar 1793,
der Tag, an dem Ludwig XVI. geköpft wird.
Der noch junge Mann trägt
Dreispitz und Livree.
Der Lammkopf über ihm
blökt sechzehnmal, zum Zeichen, daß es 16 Uhr ist.
Der noch junge Mann
vermerkt mit kalligraphischer Sorgfalt in seinem großen grünen Register:
"Es ist das Jahr 1793,
der 21. Januar 1793,
der Lammkopf über mir blökt sechzehnmal
zum Zeichen, daß es 16 Uhr ist,
der Augenblick, in dem Ludwig XVI. geköpft wird."
Das Fallbeil fällt auf den Nacken.
Die Augen werden starr,
der Kopf rollt in den Korb,
der Mund klafft.
Die Menge klatscht Beifall.
Der Leib bäumt sich auf,
das Blut zischt aus dem Hals und verspritzt das Fenster.
Hinter dem Fenster schreibt
der junge Mann mit großer Sorgfalt:
"Das Fallbeil fällt auf den Nacken,
der Kopf rollt in den Korb,
die Augen werden starr,
der Mund klafft.
Die Menge klatscht Beifall.
Der Leib bäumt sich auf,
das Blut zischt aus dem Hals und verspritzt das Fenster."
Der Mann schreibt aufmerksam,
und er muß auch sehr aufmerksam schreiben,
denn für jeden Fehler
kann er zur Verantwortung gezogen werden,
denn jeder Fehler kommt ihn teuer zu stehen.
Der Mann schreibt,
dann wischt er sich die Hände ab
und schließt das Register.
Vor ihm ist ein Lämmerschlachthof,
hinter ihm einen grüne Wiese.
Über dem Schlachthof wird es Abend,
auf der Wiese regnet es.
Der Mann erhebt sich vom Tisch
und schließt das Fenster.
Man hört das Prasseln des Regens auf der großen grünen Wiese.
Dumitru Chioaru
(Dieter Schlesak)Rückzug aus dem Himmel(Film-Poem. Fragment ) Für Frau Doina Cornea
(...) Ich werde sie nie vergessen
die langen kalten Dezembernächte
die kurzen Anrufe
und das kalte Schweigen
Spiegel der
Straßen
von wo jene Nachrichten kamen
und die Nerven des dünnen Schnees
frieren ließen
und knarrten
unter den Stiefeln
Schnee und Manifeste fielen wie Schnee -
auf die Brücke (wie himmelnd) die ganze Nacht
die Stimme eines Freundes
von einer
freien
Radio Station
irgendwo aus dem Unvorhersehbaren
Europa
(....) Schnee wuchs schweigend auf den Bergen -
erinnert die Straßen Temeswars
in einem andern Dezember verwandelt er sich
aus Furcht und Schrecken in den Wunsch
dort
zu sein unter den Zeit Schienen - ach Temeswar
"westlichster Stempel Rumäniens"
(sagten wir damals)
von Blut imprägniert, Herr,
und die Hände
zuckten, Herr,
zum glühenden Radiogerät
die Stimme (des gleichen) Freundes
als könnte er
stoppen die
"Schnee Lawinen" Schnee Schnee
rot vom Blut Temeswars
und der Kopf fiel mir auf die Brust
wie eine zerbrochene
Kerze
der Himmel Morgen Röte wuchs stumm ein
Strich
über den Dächern
"vielleicht war´s ja nur ein Traum"
(während)
ich die Windeln meines Kindes wechselte
hörte ich
Schreie anderer Kinder die
unter die Schienen gekommen waren
plötzlich
öffneten sich die Fenster und
Münder
anschreiend gegen das Blei
Kugeln
schreiend
Sibiu: Nichts als
ein riesiger Körper: Körper des Vaters
des Sohnes
damit der Tod endlich sterbe
"der Himmel
war unter uns oder wir waren gerade
im Himmel"
( ich werde es nicht vergessen!)
denn nach dem zweiten Erwachen blieben
die Toten dann doch zurück
wo wir nicht waren: im Himmel und
die Straße leergefegt
doch mehrere Straßen ergeben eine Stadt
die gleiche Stadt
mit Wachtürmen von wo aus der Tod
durch Gewehrmündungen sah
(damals)
auf der Straße -
(jetzt) hör ich wieder die Stimme
des (gleichen) Freundes
von einer freien
Radio Station
irgendwo
im Unvorhersehbaren
Europa
wie im Zug Ich damals am geschlossenen
Fenster
und sehe an der rauchenden Böschung und
auf ihre Wände projiziert
Kino des Schreckens
und jetzt weiß ich ja
die Toten aus den Filmen sterben wirklich
wie damals im Dezember
und auch ich kann sterben im Zug
Rückzug
aus den Himmeln
erleuchtet
nur
von Bergarbeiter Lampen
und suche die Hände meines Sohnes
die Kraft
zu öffnen
das verklemmte Fenster um
SCHREIEN zu können
Marin Sorescu (Oskar Pastor)
Der Bericht
Aus dem Bericht des Henkers:
Ja, natürlich sind auch Fehler unterlaufen.
Schuld war aber nur der Tote.
Etwas pflichtbewußter und gewissenhafter
hätte er (der Henker) zwar arbeiten können.
Es wird immer noch sehr unzusammenhängend deliriert.
Mit verschränkten Armen hat er zusehn müssen,
während es (das Opfer) nicht lockerließ,
inkohärent zu schnaufen, zu gurgeln, ja zu ersticken drohte.
Und trotz der einwandfreien Logik einer Exekution
wissen Verurteilte noch immer nicht was sie reden,
bevor es soweit ist,
plappern drauflos, das Blaue vom Himmel herunter,
falls sie überhaupt noch etwas sagen können -
nicht das geringste
Schamgefühl!
Und reden sich selber um Kopf und Kragen.
Hielten anfangs es für einen schlechten Witz -
»Wie - das Blei für unsere Kugel noch vom Mund absparen?
Das ist doch . . . ha ha ha!«
Am Ende waren sie von dieser Logik überzeugt.
Nun, auch diesbezüglich läßt sich einiges verbessern.
Denn selbst ein guter Henker, bei dem alles klappt,
kann sich zu höheren Leistungen verpflichten,
bis jedermann zufrieden ist,
einschließlich der Kunden,
nach dem Leitspruch, den er eigens
und in großen roten Lettern
an die Wand geschlagen hat:
»Bei uns hat der Kunde das Sagen«.
Der Betrieb läuft wie am Schnürchen.
Liviu Antonesei (Dieter Schlesak)
Falls sie mich töten würden
Wenn das graue Auto
es geschafft hätte,
wenn das graue Auto gewollt hätte
es zu schaffen,
welch wunderbare Explosion des Körpers,
welch Garben von Fleisch und Blut,
von Hirn und Lymphe auf dem Asphalt. Welch
großartige Kollision von völlig verschiedenen Schuß-
Linien ...
Wenn das graue Auto
es geschafft hätte,
wenn das graue Auto gewollt hätte
es zu schaffen -
gäbe es einen Poeten weniger, einen Mörder mehr.
Nicht weniger, nicht mehr: Ein roter Fleck auf dem
Asphalt...
14. Oktober 1989, mit Fieber und Flammen in der Lunge
Elena Stefoi (Dieter Schlesak)
Überwachte Beziehungen mit dem Tode
für Carmen Francesca Banciu
Die Retina beherrscht die Finsternis besser als gestern
die Zunge im Mund liegt dem Schrecken der Nicht-
Sehenden näher - auf einem geschmückten Floß
verschwunden zwecks eines primitiven Rituals im Offenen
Grenzen zwischen dem Vorher und dem Jetzt/ Nachher
(Was sich verändert hat ... hat es sich etwa nur verändert
damit jeder in der Mannschaft des Todes lebe?)
Wir verstecken uns im Keller nähern das Zündholz
der letzten Stufe und verweigern ängstlich
den finalen Vertrag davon überzeugt: er sei schon entziffert aufgesetzt und vervielfältigt von einigen Geheimdiensten.
Berlin 26. August 1995
Mihai Ursachi (Horst Helge Fassel)
Selbstbildnis
O, könnte man doch
nach dem Tod Verse schreiben
mir träumt
ich sei gestorben
bevor die Welt
entstand
Mariana Marin (Dieter Schlesak)
Requiem
Untergrundköpfe, das waren wir
In unterirdischen Gängen bei Kerzenlicht
bat jeder von uns die Toten um Verzeihung
Die Eingeweide der Erde rumorten
Eine unsichtbare Hand schrieb uns das Schandmal
Auf die Stirn
Und wir wußten nicht ob es die Glocke war
Die am Ende des Weges lockte
Oder war es der Chor verstreuter Knochen
Den Hunden hingeworfen im stinkenden Abfall
Und wir marschierten, marschierten
Jeder mit dem Engel seines Toten
Und an einer magern Schulter/ Weinend
Das Land war leer wir fehlten
Licht Licht Keinlicht
Die Zeit erstarrt am Maul des Wortes
Constantin Abálut
ă (Dieter Schlesak)
Aleph
Heute vor zwei Tagen auf dem Weißen Streifen
mitten auf dem Boulevard unter rasenden Autos
sah ich ein Kind im Türkensitz
und es warf andauernd Steinchen in die Luft
dies erinnerte mich an eine Freundin
die mich beschuldigte auf Kosten der Toten zu leben
und ich sagte mir die Toten der Welt zirkulieren von oben
nach unten nach oben parallel mit den Steinchen des Kindes
und beneidete sie.
Petre Stoica (Dieter Schlesak)
Unsere lieben Toten
Die Toten kommen nachts ins Haus
die Lieben, die Toten
wenden die schweren Draperien
zünden ein Zündholz an wo seid ihr Fragen
wo
Niemand hört sie
Wir schlafen auf einer andern Seite
der Erde Traum Liebe Traum Glück am Morgen geträumt
ist wie ein Englischhorn über den Gebäuden
Tag für Tag unsere
Serie Unsterblichkeit
Niemand hört sie
sie gleiten in die Küche werden
empfangen von gepanzerten Schaben
von angebrannten Soßen
am Boden verstreuten Pfefferkörnern
und brechen hungrig vom Brot
sie haben nichts gegessen
seit zehn seit zwanzig seit fünfzig Jahren
öffnen den Kühlschrank trinken Sprudel
großer Durst seit zehn seit zwanzig seit fünfzig Jahren
unsere Lieben Toten sehn auf die Uhr
sie können nicht mehr lesen sie
orientieren sich an den Graswurzeln
an den Karten der Maulwürfe
der Sturm
verstreut sie vor der Morgenröte
die Steine beginnen zu sprechen
die Autos beginnen zu singen
die Vögel beginnen zu schreien
wir aber reißen uns die
transparente Schlafhaut vom Gesicht
Unsere Lieben Toten
sie bleiben im Staub der Kleider
im Schwarz der Fingernägel
im Straßenkot der Schuhe
und im Ruß der Karteien
Die Toten Überall
Unsere
Lieben Toten
Traian T. Cosovei (Peter Motzan) s
Die siamesischen Gedichte
V.
Ich lebe in einer Lichtgeißel.
Auf den Stern eines Wortes schlage ich ein, der Schmerz
bringt ihn zum Blühen.
Ich lausche. Unter dem Gras wabert das Blut der traurigen Toten.
Meine Finger gehn in die Tiefe, raufen die Zungen aus,
die aufsingen wollten. Meine Finger, die sich gemeinsam
mit dem gefühllosen Dunkel aufs Schweigen verstehen.
Ich lebe zwischen der Beschattung ausgelieferten Leibern.
Ausgestreckt unter einer Formoldecke,
warte ich auf die Abwärtsbewegung des Strahls, der schon
einen Knoten, einen verdammten Lichtschein befingert.
Riesige Gefäße, darin schwimmen eng beieinander
Schrecken nachbarlichen Nichts und Projektionen
jenseitigen Lebens,
zusammengestoppelt aus verdreckten Wickeltüchern, aus
Papp- und Gipsverbänden,
geblendet von frostigem Neongeflimmer,
im Dunkeln tappend nach einem Notausgang, nach einem Seil,
das irrtümlicherweise im Schwimmbecken schlenkert.
("Morgen" lautet unsere Anschrift seit jeher, die man aus den
Augen verlor, schwer wird's ihnen fallen, uns dort
aufzustöbern.)
Mircea Cártárescu (William Totok)
Plan
ich betrachte ein etwas steifes foto, hergestellt noch vor 1900;
all diese leute sind tot, und trotzdem ist auch dies
ein leben in chemischem ruhm. in der stellung eines engels
betaste ich die haut der lösung weder mit den augen
noch mit den fingerkuppen, sondern mit jener dimension,
die ich zu meinem vorteil bewahre: ich bin lebendig und denke,
ich kann fühlen, kann sprechen. ich betaste meine finger
und berühre das was
serglas auf dem tisch. ich blicke in die zeitung "erneut gespannte
lage in beirut, hubschrauber der entmutigungskräfte"
und nachher nichts. historisches nichts.
dort fallen brandbomben, hier berühre ich das glas
und kann meinen namen nennen. eine sekunde lang sehe ich
den aus dem anatomiebuch bekannten querschnitt durch den kehlkopf
in grünem licht. sie, die gelebt haben,
oder nicht gelebt haben, machen sich nichts draus. es scheint so
als würden sie mit höchstmöglicher intensität den augenblick erleben,
in dem sie von einem zug entzweigeschnitten werden, wobei alles in
zeitlupe gefilmt wird. ich sehe auf ihren
hälsen den zu riesigen körnern erstarrten schweiß, sie hinunterziehend,
wohin? während der zug eine ganze terrorrede
schwingt. erstarren
in einer gleichdruckkabine, ein geländer
in den tod und das ganze schwarz-weiß bis es dunkelt.
im vergleich zu ihnen besitze ich die festigkeit des eisens. ansonsten
zittert das glas sichtbar wenn meine hand es berührt.
sie scheren sich wenig darum. sie sehen dir gerade in die augen
wie an die wand gestellte revoluzzer in hemden,
vor der gewehrmündung. chemischer ruhm.
und du wirfst einen blick wie eine münze aus der mitte deines fleisches
in die mitte ihrer einsamkeit
Mircea Bârsilă
(Johann Lippet/William Totok)
Dort
weil ich dich niemals sagen hörte
weder "warum bist du traurig, he"
noch "dir kommt ja jeder abgrund wie’n lamm vor"
vater mein, der du bist
am rande des zweiten weltkriegs begraben
begnade mich mit dem eimer des algenbewachsenen brunnens,
dem eimer, in dem du kaum etwas herauszuschaffen hattest aus der melancholie der leute
gib mir, vater, deinen segen mit auf den weg, auf dem ich dürstend
zu mir selber gelangen werde
wie zu einem fluß, dem um den hals hügel hängen. dort
hab ich freunde, die haben nicht singen können
und warten auf mich,
damit ich die liedgebärde festmauere ihrer zunge
ich höre ihre menge anwachsen wie ein meer
während die reißzähne eines himmels meine schmerzen eichen
während meine seele an alle denkt
wie ein ungeöffnetes parfümfläschchen an die kleiderfalten.
dort
unter vögeln mit schreiwärts nach vorn gewachsenen köpfen
wo ich zurückerwartet werde aus träumen, die verstohlen am schmerz genascht,
erwartet von mädchen in angst, mit dem nähen nicht fertigzuwerden
bis zur karwoche,
müht sich der traurige ritter Don Quijote
bettler in seinem überfluß
herbst für herbst allein damit ab
anstelle der blätter die hände hinzuhalten. ein baum
erwartet mich am anderen ende der ferne,
das brot, von dem ich an alle werde austeilen müssen,
alle sorgen und alle ziele, mich erwartet
der handel mit den falschen liebeserklärungen
jener sicherheitsgurt
der meine herzbacken foltern wird
mit tausend riemen und schnüren
bis ich die wahre liebe begreif
und unter einem himmel, gewaschen im rötlichen quellwasser der frühen,
die bienen um meinen kopf philosophische gespräche über blumen führen.
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