"BÜCHER SIND ZUFÄLLE, BRIEFE EREIGNISSE..."

Die Briefe E.M Ciorans

 

Emile Cioran war ein begnadeter Briefeschreiber, sein Generationskollege und Jugendfreund Mircea Eliade bewunderte die intuitive Leichtigkeit und Nähe der Cioran-Briefe und charakterisiert sie als "Meisterschaft in der Kunst des Briefeschreibens. Ich glaube seit langem hinter sein Geheimnis gekommen zu sein. Cioran schreibt niemals einen Brief in bloßer Verpflichtung oder weil er nichts besseres zu tun hat, sondern einzig und allein dann, wenn er das Bedürfnis hat, sich an jemanden zu wenden, sei es nun ein Freund oder ein Unbekannter. Und sein Brief gibt seine augenblickliche Stimmung wieder, seine Stimmung, die gewissermaßen von der gerade durchlebten Zeit losgelöst ist ..."

Die hier vorgestellten Briefe des französisch-rumänischen Philosophen sind (mit einer Ausnahme) unveröffentlicht; sie sind auch in den bisher einzigen Briefausgaben (Scrisori cátre cei de acasà , Humanitas, Bukarest 1995 und Cioran 12 scrisori de pe culmile disperà rii, Hrsg. Ion Vartic, Apostrof, Cluj 1995) nicht enthalten. Erst für 1999 plant E.M. Corans Verlag Gallimard, der im Herbst 97 das "Sudelbuch" (Les Cahiers) des großen Essayisten herausgebracht hat, eine Briefausgabe. Der Ausgabe bei Gallimard wird ein von mir besorgter Briefband bei Suhrkamp folgen; die hier abgeruckten Briefe sind diesem geplanten Band entnommen.

Die bisher (auf Rumänisch) erschienenen Briefe zeigen deutlich Ciorans (unbewußte) Wahl: ein großer Teil der Briefpartner, die Eltern, der Bruder, die Jugendfreunde, sind Siebenbürger. Nur wenige der Freunde, wie Mircea Eliade, dann der rumänische Sprachphilosoph Constantin Noica, die Brüder Acterian und Mircea Vulcá nescu, stammen aus dem "Altreich", der Walachei. Bei Noica und Acterian besteht allerdings eine besondere Beziehung zu Siebenbürgen, Noica verbrachte sogar die letzten zwölf Jahre seines Lebens als eine Art Eremit in den Hermannstädter Bergen (Pá ltinis ).

Der in Bukarest herausgegebene Brief-Band geht auf die siebenbürgische Herkunft Ciorans, die weitgehend sein Werk bestimmte, nicht weiter ein. "Apostrof" jedoch dokumentiert den Ursprung Ciorans im mitteleuropäischen, ehemaligen k. und k. - Siebenbürgen, das nach dem Ersten Weltkrieg der Walachei angeschlossen wurde, also plötzlich und übergangslos auf den Balkan kam. Ciorans Briefe an den in Czernowitz geborenen Molekularbiologen Erwin Chargaff zeigen deutlich diese Verbundenheit mit der Aura der alten Monarchie. "Apostrof" veröffentlichte einen wichtigen Essay des frühen Cioran zu diesem brisanten Thema ("Enttäuschungen und Hoffnungen Siebenbürgen betreffend", erschienen in der Zeitschrift: "Vremea" 1937); darin wird erkennbar, welch Kulturchock diese vielgepriesene "Vereinigung" Siebenbürgens mit der rückständigeren Walachei für die Siebenbürger Rumänen war. Ciorans Haß auf die "feuchten Stellen" des Levantinischen, das ja seit der Vereinigung zu seinem gespaltenen "Ursprung" gehörte, dieses "Unglück, ein Rumäne zu sein", zum "walachischen Nichts" zu gehören, durchzieht sein ganzes Werk: "Für mich war die wesentliche Gegebenheit, das rumänische Konzept par excellence das des nenoroc (Unglücks)", schrieb er an die Tochter seines Freundes Mircea Vulcá nescu. "Balkanisch" war für Cioran gleichzusetzen mit einem Sich-selbst-und-sein-"Unglück"-annehmen: "zerrissen", "herkunftlos", "abgründig" zu sein und einen äußerst skeptischen Sinn gegenüber gängigen Sicherheiten und rein verstandesmäßigen Erkenntnismöglichkeiten zu haben.

Das Geheimnis seines späten Erfolges liegt in dieser Spaltung; Cioran selbst sagte, er fühle sich "als Nachfahre und Erbe einer interessanten, da zwischen zwei Welten angesiedelten Kultur: der westlichen, rein europäischen, und der östlichen. Ich hatte teil an diesen beiden Welten..." Als Siebenbürger und Mitteleuropäer lag diese Spaltung in ihm selbst: Cioran kam aus einem uralten ostwestlichen Grenzland, das ehemals österreich-ungarische, also mitteleuropäische Siebenbürgen, gehörte seit es im Vertrag von Trianon Rumänien zugesprochen wurde, sowohl zur Levante, als auch - durch den Charakter seiner Bewohner und seine Traditionen - zu einem ganz anderen Kulturkreis. Cioran beklagt in den Briefen und Gesprächen immer wieder den Untergang der Donaumonarchie, so in seinen Briefen nach New York an Erwin Chargaff: "Sie sind Zeuge einer in vieler Hinsicht bewundernswerten Zivilisation gewesen. Die Schäden, die sie zum Verschwinden gebracht haben, sind die gleichen, die wir überall im Westen erkennen." Bei Chargaff, der das gleiche Trauma wie alle "Altösterreicher" hatte, die zum Teil daran zugrunde gegangen sind (man denke nur an Joseph Roth oder an Stefan Zweig), wird dieses Trauma deutlich. "Besonders gut haben mir Ihre Seiten über den Niedergang Österreichs gefallen", schrieb Cioran 1978 an Chargaff: "Wußten Sie, daß diese Tragödie in Pariser Intellektuellenkreisen, wo man alles zu spät entdeckt, gerade Mode ist ... Ich möchte nicht schließen, ohne Ihnen zu sagen, mit welch lebhaftem Interesse ich Ihre Bemerkungen über den Heimatverlust, nein, über die Entwurzelung gelesen habe." Diese Entwurzelung wurde für Cioran zur Bedingung des Schreibens: "Sie haben es richtig gemacht, daß Sie ein zweites Mal emigriert sind", schrieb er mir über meine Übersiedlung von Deutschland nach Italien; auch er war nirgends mehr zu Hause, er flüchtete aus Paris: "Dieppe ist mein Refugium, ein kaltes Refugium, din pá cate". Ich fühle mich Rumänien ferner als Sie, ich bin ein înstrá inat, zur großen Verzweiflung meiner Freunde dort unten." Zwei rumänische Worte hatte Cioran eingestreut, was er selten tat, was aber immer eine besondere Bedeutung hatte: "din pà cate" ("leider", was von pá cat: Sünde abgeleitet ist) und "un înstrà inat" (ein Entfremdeter), so kommt fremd, entfremdet mit dem Urbegriff Vertreibung, Sünde hintergründig zusammen. Cioran lebte im Bewußtsein, daß nur das Exil dem Menschen entspricht; die meisten vergessen es und meinen, Heimat und Lebenssicherung sei der natürliche Zustand. Er hatte sich auch im neuen Rumänien (nach 1919) fremd gefühlt. Immer wieder stoßen wir auf seine heftige Haßliebe gegen sein Land. Ion Vartic, der Herausgeber des Cioran-"Dossiers" der Zeitschrift "Apostrof" erzählt eine außerordentliche Szene, die sich im Februar 1991 in der berühmten Mansarde Ciorans der rue de l´Odéon abgespielt hatte, weil der wunde Punkt des Hausherrn berührt worden war: Vartic hatte Cioran ein Exemplar des Jugendessays "Revelat iile durerii" (Entdeckungen des Schmerzes) von 1932 mitgebracht, das in der siebenbürgischen Editura Echinox wiederaufgelegt worden war.

Als wäre nun die ganze Anstrengung in seiner französischen Zeit, als sich Cioran entschlossen hatte, nur noch französisch zu schreiben, Abschiedsfähigkeit zu trainieren, vergeblich gewesen, wurde das Cioran-Tabu, das Verbot und Selbstverbot rumänisch zu sprechen, an jenem Abend gebrochen. Und als er über die Rumänen zu sprechen begann, brach auch das Rumänische aus ihm hervor, als er auf Französisch das Syntagma, "es ist ein glückloses Volk" nicht fand: "E un popor fá rá noroc" (es ist ein glückloses Volk), und weiter sogar "un popor care n-a fost sá fie" (ein Volk, daß nicht hätte sein sollen).

"Mit fortschreitendem Alter, fühle ich mich mehr und mehr als Österreicher", schrieb er am 30. Dezember 1972 an seinen Freund Wolf Aichelburg "nach Hause" in sein geliebtes Hermannstadt, wo er seine Jugendjahre verbracht hatte: "Vergangenes Jahr hat mich die Tochter Hugo von Hofmannsthals besucht ... Das Universum ihres Vaters ist mir sehr vertraut." Dieser Aspekt Ciorans bei der Analyse seines zentralen Traumas, der "Entwurzelung", ist bisher nicht erkannt worden. Auch mein Briefwechsel mit ihm beruht vor allem auf dieser gemeinsamen transsylvanischen Herkunft, und nicht selten war darin - oft recht bitter - die Rede davon. Schon in seinem vorhin erwähnten Siebenbürgen-Essay kommt ein typisches Cioran-Paradox vor: daß die Siebenbürger Rumänen durch den k.-und k.-Staat und früher durch das Fürstentum Siebenbürgen, diszipliniert, zu Staatsbürgern erzogen worden seien, um "zu fühlen, was ein Staat ist". Doch tiefer saß bei ihm das Trauma der "Schande": Die Mehrheitsbevölkerung hatte nicht einmal eine Vertretung im Landtag, wo die unio trium nationum, die Ungarn, Sachsen und Székler herrschten - dieser Staat also, dem sie angehörten, gehörte nicht zu ihrer eigenen Geschichte, sondern zu einer fremden, verurteilt von den herrschenden Ungarn und Deutschen, "eine Art Sklaven zu ein", so schrieb Cioran am 3. Juli 1973 in einem Brief, die Rumänen seien "das einzige Volk in Europa das diesen Vorteil hat, keine Geschichte zu besitzen." Dieses aber gelte vor allem "für die Siebenbürger, deren ´historische´ Bedingung eine merkwürdige Ähnlichkeit mit denen der Schwarzen hat. Es gibt, so glaube ich, einen Pakt, der auf das 15. Jahrhundert zurückgeht, und durch den sich die Ungarn und die Sachsen verpflichteten, diese elenden Ureinwohner als Sklaven zu halten. Welch eine Umkehrung der Lage!" (Vgl. "Sinn und Form" 1/96, S. 81)

Der Mitteleuropäer und "Altösterreicher" Cioran beklagte schon im Januar 1937 in dem erwähnten Essay über Siebenbürgen, daß nach der Vereinigung Siebenbürgens mit dem Königreich Rumänien, die ehemals österreich-ungarische Provinz unfähig gewesen sei, die Walachei auf ihre höhere Stufe der Zivilisation zu heben, daß im Gegenteil, nun Transsylvanien seinerseits hinabgesunken sei in die Levante, passiv zugesehen habe, wie es selbst levantinisiert, ihm das Rückgrat gebrochen wurde, und es dort mehr und mehr von Schlawinern und balkanischen Halunken wimmele.

Noch etwas fällt auf, das mit zu Ciorans Erbe seiner gespaltenen Herkunft gehört: eine gewisse levantinische Schicksalsgläubigkeit in die Macht der Beziehungen, auch wenn sie ihn anekeln, er anarchisch gestimmt ist, Staat, Gesellschaft, Rolle ablehnte, er selbst jeden Literaturpreis zurückwies, sich aus der Öffentlichkeit zurückzog, anfangs keine Interviews gab, ja, auch die französische Staatsbürgerschaft nicht akzeptierte, staatenlos lebte, konnte er doch taktieren; auch in der kleinen, hier vorliegenden Briefauswahl kommt dieses in den Briefen an Mariana Û ora zum Ausdruck, wo er etwa verhindern möchte, daß sein Freund Eugène Ionesco, undiplomatisch und impulsiv, wie er war, gegen Ceaus escu wettere, und so viele "humane Kompromisse" des Diktators verhindere! Cioran nannte sich in einem Brief sogar einen "Schlawiner", und stiftete Freunde an, "einflußreiche" Persönlichkeiten anzuschreiben, "nichts zu versäumen", um eine Karriere aufzubauen; in einem Brief an Mariana Sora rät er: "sprechen Sie dabei zunächst mal über deren Werke und kommen dann nebenbei auf Ihre eigenen."

Er war gespalten. Heftige Sentimente und Ressentiments entstanden in diesem genialen Menschen an der Grenze der Kulturen, dem "Siebenbürger Rumänen mit deutscher Kultur", diese innere Spaltung war auch die Ursache seiner "Jugendsünde". Von seinem eigentlichen Trauma, dieser Wunde, nämlich dem Selbsthaß als Rumäne und dessen Kompensation in frühen Jahren als geistiger Legionär, weiß man im Westen erst seit wenigen Jahren; Cioran hatte seine belastete Vergangenheit als Sympathisant der rumänischen Faschisten, sein Land, seine Herkunft meist säuberlich ausgeklammert. Sein vertracktes Verhältnis zu seiner Herkunft ist im Westen erst langsam ans Tageslicht gekommen, vielleicht so überdeutlich erst nach seinem Tode.

Erhellend ist etwa in diesem Kontext einer schizophrenen Heimatliebe, daß Cioran im Dezember 1937 in einem Brief an Mircea Eliade schrieb, Rumäniens letzte Chance sei eine "Revolution von rechts", Rumänien könne sich "vor dem Okzident nur durch eine Revolution von rechts behaupten. Mehr denn je habe ich mich davon überzeugt, daß Rumäniens letzte Chance die Eiserne Garde ist... Jede Geste, die die Lunte an die Demokratie in Rumänien legt, ist ein kreativer Akt." Das vergessene Rumänien könne nur durch Fanatismus und Machtdemonstration im Westen Aufmerksamkeit erregen. Noch 1957 heißt es in einem Brief an den Philosophen Constantin Noica, seine "Vaterlandsliebe" sei ausdrückbar nur "in der Sprache der Selbstbestrafung, der freiwilligen und öffentlich bekundeten Demütigung, der Zustimmung zum Unheil. Sollte für eine derartige Vaterlandsliebe die Psychiatrie zuständig sein?"

In späteren Jahren allerdings schrieb er in einem Brief an die Tochter Mircea Vulcá nescus: "Wegen der historischen Bedeutungslosigkeit seines Landes Qualen zu leiden, ist eine Schwäche des Literaten, ein Laster des Schreiberlings."

Sein Exil wirkt wie eine Flucht vor der eigenen Herkunft und Vergangenheit, vor seiner "Jugendsünde", die eigentlich rein platonisch war, und vor allem in einem Buch "Schimbare la fat á a României" (Rumäniens Gesichtswandel) in Bukarest 1936 veröffentlicht, zum Ausdruck kommt! "Wie, durch welche inneren Kämpfe ich dazu gelangte, mich von solchen Tollheiten zu befreien, das werde ich Dir nicht auseinandersetzen ...", schrieb er in den siebziger Jahren über sein schlechtestes, ein antisemitisches, antimadjarisches Jugend-Buch an seinen Bruder Aurel: "Manchmal frage ich mich, ob wirklich ich diesen Entgleisung geschrieben habe, der andauernd zitiert wird. ... Der Enthusiasmus ist eine Form des Deliriums. Wir haben an dieser Krankheit gelitten und niemand will es uns glauben, daß wir geheilt sind." Weil er diese Krankheit kannte, lehnte er sein Leben lang jede Form von Ideologie ab. Und mied jene, die sich von ihrem politischen Jugendwahn nicht trennen konnten, wie der in Spanien lebende rumänische Romancier und ehemalige Legionär Vintilà Horia: "Mein Grund zur Klage ihm gegenüber" sei, schrieb er an die Münchner Schriftstellerin Mariana Sora, daß er Horia vorwerfen müsse, "seinen Jugendentscheidungen treu geblieben zu sein." Und den Superideologen Ceaus escu nennt er im gleichen Brief "Idi Amin". Er war äußerst hellhörig, und spürte instinktiv die ideologischen Töne im Trend von 68, in der Weltveränderungsbegeisterung sah er Progressivität als Kitsch. Und Ideologieverdacht kam bei ihm hoch. In seinem Brief vom 8.März 1986, nach einem Interview mit Fritz J. Raddatz für DIE ZEIT schrieb er an Raddatz, dieser habe "zu viel Wert ...auf Ideologie und Politik" gelegt. Und was er von Politik und Ideoliogie halte, "habe ich in meinem Essay über de Maistre gesagt..." Fast böse wirkt er in diesem Brief, weil ihm in jenem de Maistre-Essay von Raddatz "Spuren" von "Faschismus" und "Irrationalismus" vorgeworfen worden waren! Es war seine empfindlichste Stelle!

Noch 1940 schrieb er ein hymnisches Porträt Zelea Codreanus, Codreanu war der Führer der rumänischen Eisernen Garde; und es gab eine peinliche Episode: Cioran kam 1940 aus Paris zurück nach Rumänien, weil er Botschafter im Vichy-Frankreich werden sollte.

Doch wenig später wandelte er sich, wohl unter dem Eindruck der Nazi- Verbrechen. Während des Krieges wandte er sich von seiner rumänischen Legionärs-Vergangenheit radikal ab, als hätte er sie löschen können!

Bei einer Neuauflage 1990 des "Gesichtswandels Rumäniens" schrieb Cioran im Vorwort: "Ich habe diese Wahnreden 1935-1936, im Alter von 24 Jahren mit Leidenschaft und Stolz geschrieben ... dieser Text ist mein leidenschaftlichster, mir zugleich aber der fremdeste. Ich kann mich darin nicht wiederfinden."

Das Geheimnis seiner Weisheit war der innere Streit... Und was das Verhältnis zum Jüdischen betrifft, ist es erstaunlich, daß er während der Okkupationszeit in Frankreich fast nur mit ungarischen und rumänischen Juden verkehrte, die ihm auch oft in seiner materiellen Misere halfen.

Schon kurz nach dem Krieg schrieb Cioran in einem Brief an seine Eltern über seine besonderen Beziehungen zu jüdischen Landsleuten in Paris: "In vielen Beziehungen habe ich Glück gehabt mit einem Freund, einem rumänischen Juden, der sich seit 1940 in Paris aufhält... Im Grunde sind alle Ideen falsch und absurd. Es bleiben nur die Menschen, so wie sie sind ... Ich bin von jeder Ideologie geheilt."

Und in den fünfziger Jahren schrieb er den Essay "Ein Volk von Einzelgängern" über die Juden, und es zeigt sich deutlich, daß er sie verehrt, beneidet, ihnen nachstrebt, als wär's ein ödipales Vater-Sohn-Verhältnis. Diese "Meister der Existenz" verkörpern für ihn das tragische menschliche Schicksal und das Exil schlechthin, und seine frühen Ausfälle wirken wie Ausbrüche des Selbsthasses. "Mensch sein ist ein Drama; Jude sein ein zweites. Darum hat der Jude das Privileg, unsere Conditio zweimal zu leben. Er repräsentiert das Sonderdasein par excellence..."

Ein Sonderdasein, das Cioran erstrebte und schließlich als Emigrant auch selbst 60 Jahre lang führte. Ein Beweis seiner Wandlung schon während des Krieges ist auch seine Freundschaft zu dem jüdisch-rumänischen Schriftsteller Benjamin Fondane, dessen Schicksal ihm sehr zu Herzen ging, weil Fondane als Jude doppelt fremd im Exil gewesen war. Und 1944 in Auschwitz ermordet wurde: "Ich habe Fondane in der Tat gut gekannt, denn ich pflegte während der furchtbaren Jahre Umgang mit ihm. Ein äußerst bestechender Geist", schrieb er mir im Oktober 1980. Das Schicksal dieses großartigen Mannes verfolge ihn: "Er hat nichts getan, um dem Unheil zu entgehen, das ihn wohl auf geheimnisvolle Weise angezogen hat..."(Vgl. auch "Sinn und Form"1/96, S.86f)

Fondanes Name ist mit 167 anderen Mitgliedern der Résistance an der Mauer des Pantheons eingraviert. Aber dieses sei kaum in seinem Sinne gewesen, hörte ich von Cioran, Fondane habe jede manifeste Überzeugung, jede "Bekehrung" zu irgendetwas, ja, schon jede "Lösung" als Verrat an der unausdenkbaren Wahrheit angesehen.

Cioran wurde davon beeindruckt, daß Fondane radikal alle Ersatzreligionen, Ideologien, Ideen etc., zu denen - für ihn - auch die Kunst gehört, attackierte, sie dafür verantwortlich machte, daß es die "Hure der Geschichte" gibt.